
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: „Alle Kinder alles lehren“
Inklusion soll mehr sein als ein neues Wort / Comenius-Schule wird 20
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Brandenburgs Förderschulen stecken in der „Inklusions-Debatte“ – mittendrin ist auch die Potsdamer Comenius-Schule. Im 20. Jahr ihres Bestehens besuchte Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD) am Montag die Förderschule für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung auf dem Brauhausberg. Wie an vielen Förderschulen im Land wird auch hier um die Zukunft der Häuser gerungen. Zum Geburtstag gab Münch der Schule eine Bestandsgarantie ab, forderte aber ein, das Haus zu öffnen. „Auf jeden Fall gibt es die Schule noch im Jahr 2021“, sagte Münch. „Ich würde mir wünschen, dass es dann eine Inklusive-Schule ist, offen für alle Kinder.“
Inklusion ist ein relativ neuer Begriff in der Pädagogik. Die Unesco hat ihn 1994 zum Leitbild der internationalen Bildungspolitik ernannt – der Ansatz denkt die Anfänge der Integration behinderter Menschen in Kitas, Schulen und im Arbeitsleben weiter. Demnach würde es keine Förderschulen für Menschen mit Einschränkung mehr geben. Alle Schüler mit Einschränkungen wären auf den Regelschulen untergebracht bzw. den früheren Förderschulen.
Keine leichte Aufgabe, sagt Comenius-Schulleiterin Edith Volkmer. „Inklusion ist ein langer, langer Weg.“ Seit 1996 ist sie Direktorin an der Schule. Seit 2006 werden die heute 102 Kinder in dem sanierten Haus auf dem Brauhausberg unterrichtet. Das Schulmotto: „Alle Kinder alles lehren.“ 32 Lehrer, sechs Unterrichtshelfer, ein Physiotherapeut, ein Logopäde und ein Schulsozialarbeiter sind hier tätig. Platz für andere Schulkinder gebe es derzeit nicht, sagt Volkmer. Die Schule müsste umgebaut werden, mehr Personal sei notwendig, sagt sie. Nicht die einzigen Probleme: Volkmer kann von Kindern berichten, die an Regelschulen unterrichtet wurden. Als einziges behindertes Kind in der Klasse wurden sie gehänselt. Erst an der Comenius-Schule wurden sie glücklich. Aber auch andere Beispiele gibt es: Seit zwei Jahren wird eine frühere Förderschülerin an einer Grundschule unterrichtet, ohne Probleme. Stadtweit werden 340 behinderte Kinder oder Jugendliche an Regelschulen unterrichtet, nicht nur körperbehinderte Kinder, auch Autisten.
Für Bildungsministerin Münch ist klar: „Jeder hat seine Stärken und Schwächen, keiner ist gleich, es ist ganz normal, verschieden zu sein.“ Die Inklusive-Schule könne aus jedem Kind das Beste rausholen, dafür müsse sich die Comenius-Schule weiterentwickeln. Im Schuljahr 2015/16 sollen die ersten Schulen dieser Art an den Start gehen, so Münch. In einem ersten Schritt sollen Kinder mit Lern-, Verhaltens- und Sprachstörungen gemeinsam mit anderen Erstklässlern zur Grundschule gehen. Etwa ein bis zwei Kinder mit Handycap je Klasse wären denkbar, sagte Münch. Später sollen Kinder mit geistigen Handicaps folgen.
„Inklusion ist kein Sparprogramm“, sagte Münch. „Wir müssen alle Lehrer weiterbilden.“ Um das Inklusions-Konzept umzusetzen, würden zudem Sonderpädagogen benötigt. Ab 2013/14 will das Land an der Uni-Potsdam sie wieder ausbilden – bislang ist das in der Region nur in Berlin möglich. Die wenigen Absolventen sind heiß begehrt. Ende der Woche will Münch sich zudem mit Vertretern von Behindertenverbänden und Schulen zu einem runden Tisch Inklusion treffen. Über Internet soll das Forum erweitert werden, kündigte sie an.
Auch die Stadt Potsdam geht erste Schritte in Richtung Inklusion. Seit Anfang des Jahres wird an einem Aktionsplan Inklusion gearbeitet, erklärte Potsdams Bildungsbeigeordnete Iris Jana Magdowski (CDU). Es gehe um „Inklusion mit Augenmaß“, sagte sie. Bis Ende des Jahres will das Gremium eine Stellungnahme abgeben.
Darin könnten auch Wünsche der Schüler der Comenius-Schule enthalten sein. Zum Schul-Geburtstag haben sie eine kleine Wunschliste angefertigt und der Bildungsministerin übergeben: Sie reicht vom kostenlosen Mittagessen, über eine sanierte Turnhalle bis hin zum Wunsch, mit Schülern anderer Regelschulen gemeinsam zu lernen. Schulleiterin Volkmer ist sicher: Inklusion ist möglich, nicht nur in Schule, auch im späteren Arbeitsleben. „Unsere Schüler sind pünktlich und fleißig“, sagt sie. Aber Inklusion gehe nicht von heute auf morgen.
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