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Sonntagabend auf der A 9: Als Referendar nach Bayern

Gewöhnungsbedürftig ist das schon: Ein Gebet zum Schulbeginn. Die Schüler lesen den Gebetstext vor, danach sprechen alle zusammen das Vaterunser.

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Gewöhnungsbedürftig ist das schon: Ein Gebet zum Schulbeginn. Die Schüler lesen den Gebetstext vor, danach sprechen alle zusammen das Vaterunser. Dann beginnt der Unterricht. Für Stefan B. ist das nun seit fast sechs Wochen Alltag. Denn der 32-jährige Potsdamer hat nach seinem Studienabschluss an der Uni Potsdam eine Referendariatsstelle im bayrischen Weiden angetreten.

„Die Perspektive ist einfach eine bessere“, erklärt der angehende Lehrer für Deutsch und Geschichte. Die Übernahme in den Beamtendienst sei in Bayern sehr wahrscheinlich: Im Freistaat herrsche momentan Lehrermangel. Außerdem erwarte ihn ein „wesentlich besseres Gehalt“ als seine ehemaligen Kommilitonen in den neuen Bundesländern.

Am Kepler-Gymnasium in der 45 000–Einwohner–Stadt in der Oberpfalz habe er aber auch „wesentlich bessere Arbeitsbedingungen“ als vergleichbare Schulen in Brandenburg, sagt der Referendar: Das fange beim Schulhaus an und höre bei den Lernmaterialien auf: kostenlose Folien, bessere technische Ausstattung sowie eine umfangreiche Karten und Buchauswahl, zählt B. die Vorteile auf.

Dass er deshalb mehr als 300 Kilometer weit, an die Grenze nach Tschechien, ziehen sollte, stand am Jahresanfang allerdings noch nicht fest, erinnert er sich: Als er im Januar 2007 sein Zeugnis in der Hand hielt, habe er sich auch beim Schulamt Brandenburg beworben. Die Zusage für Bayern hatte er Ende März im Briefkasten – Brandenburg sagte ihm im Mai ab. Und trotzdem rief der Potsdamer beim Schulamt in Brandenburg/Havel an, um sich nach der Perspektive für das kommende Jahr zu erkundigen. Dort wurde er allerdings unfreundlich abgefertigt, erinnert er sich: „Können wir noch nicht sagen“, hieß es lapidar.

Seine Entscheidung bereut er nicht, auch wenn er eine Wochenendbeziehung in Kauf nehmen muss. Das sei eine Belastung, bestätigt er. „Wenn es im Osten die Perspektive gäbe, würde ich zurückkommen – wenn nicht, bleibe ich hier.“

In Weiden ist B. nicht der einzige „Ossi“: Fünf von elf Referendaren seiner Seminargruppe kommen aus den neuen Bundesländern. „Es gibt keine Berührungsängste Ost-West“, sagt B. über seine Kollegen an der Schule.

Auch das Morgengebet weiß der Atheist mittlerweile zu schätzen: „Die Schüler kommen zur Ruhe, können sich besinnen und aufs Lernen einstellen.“

Alle zwei Wochen fährt B. jetzt nach Potsdam: Für die Anreise hat er eine Fahrgemeinschaft mit einem Referendar aus Leipzig gebildet. Wenn sie am Sonntagabend auf der A 9 Richtung Bayern unterwegs sind, fällt vor allem eines auf: „Fast jedes Auto kommt aus den neuen Bundesländern.“ Anlass zum Nachdenken, sagt B. und fügt hinzu: „Der Osten blutet aus.“ Jana Haase

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