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Von Henri Kramer: Alternativer Stadtführer

Toleranzedikt fertig: 17 500 kostenlose Exemplare / Pete Heuer (Linke) fordert Abstimmung

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Rund 250 Gramm schwer, etwas größer als ein A5-Blatt, 100 Seiten: Das neue Potsdamer Toleranzedikt und der angehängte Erklärtext sind deutlich voluminöser als sein historischer Vorgänger von 1685. Gestern wurde das Edikt öffentlich vorgestellt, 17 500 Exemplare warten auf Leser. Der Text ist dabei über weite Strecke von einem stark politikwissenschaftlichen Sprachstil geprägt, enthält aber auch Thesen über die zukünftige Stadtentwicklung. „Potsdam tut viel für die Vergangenheit, von der es profitiert. Der Wagemut für die Gegenwart und die Zukunft hält sich in Grenzen. Die Museums- und Touristenstadt vergisst noch ihre Jugendlichen, die Freiräume brauchen“, heißt es im einleitenden Fazit des Papiers.

Die Idee zu einem neuen Toleranzedikt war nach dem mutmaßlich rassistisch motivierten Angriff auf den in Äthiopien geborenen Potsdamer Ermyas Mulugeta entstanden. Sie wurde laut Stadtverwaltung zum größten Teil vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft finanziert, als Einzelprojekt nach der Niederlage Potsdams beim Wettbewerb „Stadt der Wissenschaft“. Unter Leitung des Potsdamer Politologen Heinz Kleger hatte ein Team aus Studenten und Medienexperten seit Frühjahr versucht, mit den Potsdamern über Toleranz in der Landeshauptstadt zu reden: Postkarten, das Internet und 66 in der Stadt verteilte Diskussionstafeln sollten dabei helfen.

Das neue Edikt auf zwei Seiten sowie die Erläuterungen dokumentiert in einem seiner drei Teile die Tage und Wochen des „Stadtgesprächs“ über ein halbes Jahr: Bewegt hat die Potsdamer dabei vor allem die Behandlung ausländischer Mitbürger, die Themen Jugendkultur und Kinderfreundlichkeit, die Wohnkosten in der Stadt sowie die Wiedergewinnung der Potsdamer Mitte. „Dabei überwogen die kritischen Stimmen, die unter anderem die Bürgerbefragung der Stadtverwaltung zum Schloss-Aufbau kritisierten“, heißt es im Edikt. Ebenso habe sich eine Mehrheit der Teilnehmer gegen die Politik der Schlösserstiftung in ihren Parks ausgesprochen: „Viele Menschen fühlen sich in ihren Lebensgewohnheiten und Freiheiten eingeschränkt.“

Viel Raum in der Broschüre erhält auch der Abdruck von Selbstverpflichtungen für stetige Toleranz, die bisher 45 Potsdamer Vereine und Institutionen ausgearbeitet haben – unter anderem die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche, die sich dazu verpflichtet, nach dem umstrittenen Bau der Kirche einen „aktiven Geschichtslernort“ entstehen zu lassen. Die Praxis der Selbstverpflichtungen soll fortgesetzt werden. „Das Edikt ist noch kein Schlussstrich unter die Toleranzdebatte, sondern nur eine Zwischenbilanz“, sagte Oberbürgermeister Jann Jakobs während der Präsentation in der Kutschstall-„Manege“.

Schon gestern veröffentlichte Linke- Kreischef Pete Heuer einen mehrseitigen Aufsatz, in dem er die Diskussion um das Edikt in Dauer und Methodik als „bisher einmalig“ bezeichnete. Nun sollten die Potsdamer über das neue Toleranzedikt abstimmen können und ihm so „Anerkennung und Durchsetzungsfähigkeit zu verleihen“.

Das kostenlose Edikt soll zunächst im Stadthaus und in den Kundenzentren der Stadtwerke und von Pro Potsdam ausliegen. Ebenso werden Neubürger bei ihrer Anmeldung in Potsdam mit einem Exemplar versorgt. Heinz Kleger: „Es ist damit ein alternativer Stadtführer zu den Orten von Toleranz und Intoleranz in Potsdam.“

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