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Autonomes Frauenzentrum Potsdam: „Am häufigsten ist psychische Gewalt“

Das Autonome Frauenzentrum in Potsdam bietet für von Gewalt betroffene Frauen vielfältige Hilfen. Um auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen, hissten Heiderose Gerber und Nadia Hübner anlässlich des Aktionstags gegen Gewalt an Frauen am vergangenen Freitag am Rathaus die große blaue Fahne des Frauenrechtsvereins „Terre des femmes“.

Frau Gerber, Frau Hübner, warum braucht es einen Tag gegen Frauengewalt?

Gerber: Es gibt eine hohe Dunkelziffer. Das Thema Häusliche Gewalt ist noch immer ein Tabuthema. Für viele Frauen stellt es eine große Hürde dar, mit dem Gewohnten zu brechen und das Haus zu verlassen. Wir wollen Mut machen, genau das zu tun.

Hübner: Je länger Frauen in Gewaltbeziehungen sind, desto schwerer fällt ihnen der Schritt. Wir wollen auch Freunde, Familie, Ärzte ansprechen.

Gerber: Genau. Je größer der Unterstützungskreis ist, desto einfacher wird es, den Gewaltkreis zu unterbrechen.

In Potsdam wurden 2015 laut Polizei 303 Fälle von häuslicher Gewalt angezeigt, das sind 7,4 Prozent aller 4069 gemeldeten Straftaten. Damit hat Potsdam im Land Brandenburg die höchste Fallzahl. Hat häusliche Gewalt zugenommen?

Hübner: Laut Statistik steigen die Fälle von Jahr zu Jahr an, ja. Das heißt aber nicht, dass die Zahl wirklich zugenommen haben muss. Die Anzeigen bei der Polizei sagen kaum etwas zur tatsächlichen Gewalt aus. Früher war häusliche Gewalt mehr ein Tabuthema, heute finden Frauen schon eher den Mut, sich an uns zu wenden. 

 

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um dort aufgenommen zu werden?

Hübner: Es gibt vier Wohnungen, in denen wir insgesamt zwölf Frauen und ihre Kinder aufnehmen können. Wir nehmen alle Frauen auf – egal welcher Herkunft und mit welchem Status. Die Frauen müssen mit anderen zusammenleben und sich selbst versorgen können. Wir versuchen, den Frauen einen Alltag zu geben. Wir bieten psychosoziale Beratung und Begleitung zu Behörden und Institutionen. Für Frauen mit psychischer Krankheit oder Suchtkranke sind wir nicht der richtige Ort – wir sind Sozialarbeiterinnen, keine Therapeutinnen. Bei uns gibt es außerdem eine Ansprechpartnerin für Kinder, die Einzel- und Gruppenangebote durchführt. Pro Tag kostet der Aufenthalt sieben, je Kind drei Euro. Der Betrag wird vom Jobcenter übernommen.

Wie viele Frauen fanden im vergangenen Jahr bei Ihnen Zuflucht?

Hübner: Insgesamt haben wir 32 Frauen und 39 Kinder im Frauenhaus aufgenommen.

Warum kommen die Frauen zu Ihnen?

Hübner: Häusliche Gewalt hat viele Formen. Die häufigste Form bei uns ist die psychische Gewalt – 96 Prozent unser Frauen haben diese erfahren. Dazu gehören Beleidigungen, Bedrohungen und zunehmende Kontrolle. 78 Prozent sind zusätzlich Opfer körperlicher Gewalt.

Welche Angebote gibt es noch?

Gerber: Frauen, die sich früh Hilfe suchen wollen, können in unsere Beratungsstelle in der Nansenstraße kommen. Dort werden sie schon beraten, wenn sie das Gefühl haben, dass es bald zu Gewalt in ihrer Beziehung kommen könnte. Alle zwei Wochen wird dort auch eine kostenlose Rechtsberatung angeboten. Außerdem haben wir eine Zufluchtswohnung vor allem für jene Frauen, die schon in der Vergangenheit Opfer von Gewalt geworden sind. Im Autonomen Frauenzentrum werden kulturelle Veranstaltungen ausgerichtet. Daneben gehört der „Mädchentreff Zimtzicken“ mit einer abwechslungsreichen Freizeitgestaltung zum Verein.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Hübner: In diesem Jahr haben wir öfter geflüchtete Frauen aufgenommen. Das ist ein sehr schwieriger Prozess. Die bürokratischen Hürden sind hoch, die Bearbeitungszeiten lange.

Gerber: Die Potsdamer Stadtverordneten haben auf Empfehlung des Sozialministeriums beschlossen, Richtlinien zur Gewalt in Flüchtlingsunterkünften zu entwickeln. Daran arbeiten wir mit. Für geflüchtete Frauen wünschen wir uns qualifizierte Dolmetscher, zurzeit arbeiten wir nur mit Sprachmittlern. Bei Flüchtlingsfrauen, die ohnehin schon traumatisiert sind, ist die Arbeit mit ihnen schwierig. Und natürlich kämpfen wir für eine bessere personelle Ausstattung.

Hübner: Wir beobachten außerdem, dass es für Frauen immer schwieriger wird, eine eigene Wohnung in Potsdam zu finden. Es dauert schon zwei Monate, bis der Wohnberechtigungsschein beantragt ist. Und Frauen mit vielen Kindern haben es besonders schwer. Früher ging das schneller.

Das Gespräch führte Anne-K. Fischer


ZUR PERSON: Nadia Hübner ist seit 2003 im Frauenhaus tätig, das sich an einem geheimen Ort in Potsdam befindet. Die Sozialarbeiterin betreut von Gewalt betroffene Frauen und Kinder.

Heiderose Gerber leitet das Autonome Frauenzentrum in Potsdam seit Gründung im Jahr 1990. An der Fahnenaktion jeweils am 25. November beteiligt sich das Zentrum seit 2001.

Anne-Kathrin Fischer

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