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Haben viel zu tun. Nach einem Tag in Berufsschule und Kita gehen Grace Merylyn Tutu und ihre Söhne Mario (l.) und Aaron nach Hause. Zeit zum Lernen bleibt Grace nur abends.

© Klaer

Landeshauptstadt: Am liebsten mal in der Chirurgie arbeiten

Sie hat erlebt, wie Menschen ohne medizinische Behandlung starben. Deshalb will Grace Merylyn Tutu Krankenschwester werden

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Sie kommen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea oder Kamerun und hoffen auf ein besseres Leben in Deutschland. Doch in der Realität haben es die Flüchtlinge hier oft schwer – es gibt Probleme mit der Sprache, der Arbeitserlaubnis oder den neuen Nachbarn. Jeden Donnerstag stellen die PNN einen Menschen vor, der zumindest ein Stück weit in Potsdam angekommen ist.

Ein wenig geschafft steht Grace Merylyne Tutu im Café. Es ist später Nachmittag, die beiden Jungs sind quengelig und müde. Kakao und Croissant schaffen vorübergehend Abhilfe. Der Tag der kleinen Familie hat früh begonnen, gegen sechs Uhr. Grace muss schon wenig später die Kinder in die Kita bringen, damit sie selbst pünktlich in die Schule kommt. In der Hoffbauerschule in Teltow hat sie am 1. Oktober eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen. Ihr Traumberuf, sagt sie.

Seit fünf Jahren ist Grace schon in Potsdam. Geboren wurde sie in Kenia. Dort machte sie auch ihr Abitur, dann kam sie als Au-Pair nach Österreich, von dort nach Deutschland. Sie kann sich durchaus vorstellen, später einmal nach Kenia oder ein anderes Land in Afrika, vielleicht Ruanda, zurückzugehen. „Wenn die Jungs groß sind“, sagt die 33-Jährige. Gern würde sie genau dort als Krankenschwester arbeiten. Denn die medizinische Versorgung ist dort sehr schlecht. „In Deutschland werden alle behandelt, die Krankenversicherung ist sehr gut. So etwas gibt es nicht in Kenia“, sagt sie. Dort wird erst der Arzt bezahlt, danach der Patient behandelt. Und wer nicht zahlen kann, muss wieder nach Hause gehen. „Dort sterben so viele, weil sie nicht behandelt werden, weil notwendige Operationen nicht durchgeführt werden“, sagt Grace. Ihre Mutter war auch Krankenschwester und betrieb eine kleine private Krankenstation. „Ich habe sie immer ausgefragt zu ihrem Beruf, ich wollte immer alles wissen“, sagt Grace.

Über ihren beruflichen Weg, hier oder in Afrika, hat Grace sehr genaue Vorstellungen. „Ich würde dort gern in der Chirurgie arbeiten“, sagt sie. Oder in der Erstversorgung im Krankenhaus. Und niemand würde bei ihr weg geschickt werden, nur weil er nicht bezahlen kann.

Aber erstmal muss sie ihre Ausbildung schaffen. Heute habe sie eine Probeklausur zu den Themen Körperpflege und Medikamentenverabreichung geschrieben. Es lief so mittelmäßig, sagt sie. Und lächelt zaghaft. „Ich befürchte, später wird es noch schwieriger.“ Sie muss viel lernen, das geht erst abends, nach 20 Uhr, wenn die Kinder im Bett sind. Mario ist fast fünf Jahre alt, Aaron drei. Und der Vater der Kinder ist weit weg, er lebt in Düsseldorf. Aber er kommt oft zu Besuch, dann bringt er die Kinder in die Kita und holt sie ab. In der Kita sprechen sie Deutsch, zu Hause auch Englisch. Grace hat viele Sprachkurse besucht, aber das medizinische Deutsch, die ganzen Fachbegriffe, das ist schon schwer. Aber sie mag Deutschland. Sie findet es gut, dass man hier pünktlich ist. Und korrekt. Sie hat sich das schon angewöhnt. Ihre Dreizimmerwohnung im Schlaatz ist 67,5 Quadratmeter groß, sagt sie, sie hat die Zahl sofort parat. Vom Jobcenter wird sie finanziell unterstützt.

Lange hatte sie ihre Bewerbung in der Schublade liegen, wusste aber nicht, wie sie es machen sollte, eine Lehrstelle zu finden. Im Sprachkurs in der Volkshochschule wurde sie dann von ihrer Lehrerin einem Ehrenamtler vorgestellt, der ihr bei dem ganzen Bewerbungsprozess half. Dann musste sie ihr Zeugnis noch beim Schulamt in Cottbus anerkennen lassen, aber das funktionierte problemlos. Im Vorstellungsgespräch kamen wieder die üblichen Fragen, sagt sie – wo sie zur Schule ging, warum sie Krankenschwester werden will. Und alles klappte. Als erstes machte sie im Sommer ein Praktikum in einem Pflegeheim in Michendorf. Wenn sie im kommenden Jahr die praktische Ausbildung beginnt, würde sie gern im Potsdamer St. Josefs-Krankenhaus arbeiten. Und wenn sich jemand nicht von ihr behandeln lassen will, ein Patient oder Kollege komische Sprüche macht, weil sie schwarz ist – was würde sie dann tun? Grace schaut schelmisch: „Ich würde sagen, das ist nur Farbe“.

Jetzt aber müssen die Kinder nach Hause und sie Abendbrot kochen, Reis und Fleisch. Dass der Vater der Kinder nur selten da ist, ist ihr manchmal ganz recht, scheint es, so kann sie den Alltag ganz nach ihren Bedürfnissen organisieren. Nach Düsseldorf ziehen kommt jedenfalls nicht in Frage. Dort ist es zu teuer, sagt sie. Und hier in Potsdam geht sie zur Schule. Auch die Kinder sollen eine gute Ausbildung bekommen. „Doktor und Ingenieur“, sagt sie energisch und zeigt erst auf den einen, dann auf den anderen. Dann verschwinden die drei im abendlichen Berufsverkehr.

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