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Eltern nicht informiert: Amokdrohung schockt Hunderte Schüler

Polizisten bewachten am Mittwoch die Steuben-Schule, Eltern kritisierten die Informationspolitik

Stand:

Kirchsteigfeld - Unterricht unter Polizeischutz: Eine Amokdrohung hat Schüler und Lehrer der Steuben-Gesamtschule in Angst und Schrecken versetzt. Am Mittwoch bewachten Polizisten die Eingänge des Schulgebäudes in der Ricarda-Huch- Straße, unter den mehr als 700 Schülern machten teils wilde Gerüchte die Runde. Nun ermittelt die Polizei. Kritik gibt es, weil viele Eltern von der Drohung offenbar erst aus den Medien erfuhren.

Denn angedroht wurde der Amoklauf bereits am Dienstag: Wie Schulleiter Frank Brandt den PNN sagte, meldete eine Schülerin eine an die Wand einer Mädchentoilette geschriebene Warnung: „Morgen 11.30 Uhr Amok“. Daraufhin habe er nach dem geltenden Plan für solche Notfälle die Polizei angerufen, die Toilette sei für Schüler abgeschlossen worden. Polizeisprecherin Jana Birnbaum bestätigte, dass die Schulleitung am Dienstag gegen 11.40 Uhr ihre Kollegen alarmierte. Bislang gebe es keine Hinweise auf einen oder eine Tatverdächtige. Ermittelt werde wegen der Störung des öffentlichen Friedens – ein Delikt, das mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden kann. Am Mittwoch sicherten laut Brandt rund ein Dutzend Polizisten den Schulbetrieb, die Lage blieb ruhig.

Brandt räumte ein, er habe zunächst auf eine Meldung der Amokdrohung an alle Schüler und deren Eltern verzichtet, um nicht unnötig Angst zu verbreiten. Allerdings habe sich das Gerücht einer Amokdrohung über soziale Internet-Netzwerke wie Facebook verbreitet, erste Medienberichte gab es am Mittwochmorgen. Die Warnung sei mit Blut geschrieben gewesen, war dabei eine der Ausschmückungen – Brandt sagte, die Botschaft sei mit einem braunen Filzstift geschrieben worden. Es habe massenhaft Anrufe gegeben, etwa von besorgten Eltern, so Brandt. Am Mittwochnachmittag veröffentlichte er auf der Internetseite der Schule eine Erklärung: Der Mittwoch sei „sehr turbulent und emotional“ verlaufen – es habe aber zu keiner Zeit eine Gefahr bestanden, dass die Schule hätte evakuiert werden müssen. „Viele Gerüchte führten zu einem völlig falschen Bild der Situation – um eine Eskalation und Panik zu vermeiden, erfolgte nach Absprache mit der Polizei eine nur sehr differenzierte Information an die Anwesenden.“

Eltern von Steuben-Schülern kritisierten die Informationspolitik – etwa die FDP-Kommunalwahlkandidatin Jacqueline Krüger, die von der Drohung am Mittwoch gegen 14 Uhr aus den Medien erfuhr. „Ich war erschrocken.“ Bei einer solchen Drohung müssten aus ihrer Sicht die Eltern informiert werden. „Ich möchte mit meinem Kind über so eine Situation und die Folgen sprechen – im schlimmsten Fall hätte ich es zu Hause gelassen.“ Sie verstehe zwar, dass Panik vermieden werden solle. „Aber das kann man auch mit einer guten Informationspolitik – soweit das der Zeitablauf möglich macht.“ Der Sprecher des Bildungsministeriums, Stephan Breiding, sagte, es bestehe in solchen Fällen keine Pflicht, die Schüler und Eltern zu informieren: „Das ist – je nach Lage – eine Abwägungsfrage.“ Bei der Androhung eines Amoklaufs in einer Teltower Grundschule vor einem halben Jahr hatte die Schulleitung sofort alle Eltern und Schüler informiert. Steuben-Direktor Brandt sagte, der Vorfall werde in den Klassen bei Bedarf besprochen.

Fälle wie der an der Steuben-Schule seien Einzelfälle, sagte Ministeriumssprecher Breiding. Nach Amokläufen an Schulen in Winnenden und Erfurt, bei denen 15 bzw. 17 Menschen getötet worden waren, sei die Sensibilität für solche Drohungen deutlich gestiegen. Nach der Tat von Winnenden vor knapp fünf Jahren hatte an der Steuben-Schule ein damals 17-Jähriger gedroht, „alle abzuknallen und bei den Lehrern zu beginnen“. Er wurde zu einer Woche Jugendarrest verurteilt, musste aber gegen den Willen der Schulkonferenz weiter an der Einrichtung unterrichtet werden. In Potsdam hat es nach PNN-Informationen in den vergangenen Jahren auch Amokdrohungen für das Helmholtz- und das Einstein-Gymnasium in der Innenstadt sowie das Oberstufenzentrum in der Jägerallee gegeben. Am Mittwoch nahm die Polizei auch einen 28- Jährigen fest, der mit einem Anschlag auf eine Schule in Wriezen im Landkreis Märkisch-Oderland gedroht haben soll. Diese Schule wurde vorsorglich evakuiert. Der Verdächtige habe schon einmal mit einem Anschlag gedroht, so die Polizei.

Um Amokläufe an Potsdamer Schulen zu verhindern, hat die Stadtverwaltung nach Angaben ihres Sprechers Markus Klier an mittlerweile 14 der mehr als 40 Potsdamer Schulen technische Alarmsysteme installiert, um Schüler und Lehrer im Fall der Fälle besser zu schützen. An zehn weiteren Schulen werde dies derzeit noch realisiert oder sei für dieses Jahr geplant, sagte Klier. Konkret geht es zum Beispiel um spezielle Handynummern, mit denen Lehrer Alarm auslösen können. Die Installation der Anlagen koste laut Klier – je nach Schultyp – zwischen 30 000 und 70 000 Euro. Die Stadt macht das freiwillig: Das Land schreibt keine technischen Anforderungen für Amok-Warnsysteme an Schulen vor.

HINTERGRUND

In Potsdam gibt es immer mehr registrierte Schusswaffen. Derzeit seien 3400 solcher Waffen gemeldet, davon 2200 Gewehre, erklärte Polizeisprecherin Diane Jende auf PNN-Anfrage. Vor zwei Jahren waren nach damaligen Polizeiangaben rund 2050 Gewehre sowie knapp 1200 Pistolen registriert – insgesamt also fast 3250 Schusswaffen. Vor vier Jahren waren es noch 3000 Waffen. 2004 lag die Zahl der Schusswaffen sogar nur bei 2300. Zu den Gründen für die steigenden Zahlen wollte Jende keine Mutmaßungen abgeben. Vor zwei Jahren hieß es aus der Waffenrechtsabteilung der Polizei gegenüber den PNN, der Anstieg liege unter anderem an vielen Zuzügen aus den alten Bundesländern – dort gebe es traditionell viel mehr Sportschützen und Jagdscheinbesitzer. Keine Angaben konnte Sprecherin Jende zur Zahl der Waffenbesitzer machen. Vor zwei Jahren gab es knapp 750 Potsdamer, die eine Waffe ihr eigen nennen durften. Die Zahl der Verstöße gegen das Waffenrecht lag in den vergangenen drei Jahren konstant zwischen 100 und 130 Fällen pro Jahr. (HK)

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