zum Hauptinhalt
Fereshta Hussain, Vorsitzende des Migrantenbeirats Potsdam und gebürtige Afghanin.

© Andreas Klaer

Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan: Angst um die Angehörigen

Afghanen in Potsdam sind verzweifelt über die Lage in ihrer alten Heimat. Die Stadt will zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen.

Potsdam - Die Bilder aus seinem Heimatland, die Sorge um seine Familie in Kabul lassen ihn nicht mehr schlafen. „Ich habe vier Schwestern“, sagt ein junger Afghane, der seit mehreren Jahren in Potsdam lebt und aus Angst vor Repressionen der Taliban gegen seine Familie anonym bleiben will. Gerade für die Mädchen und Frauen in Afghanistan sei die Machtübernahme durch die islamistische Terrorgruppe bedrohlich. Die Fälle, in denen junge Frauen von den Taliban verschleppt wurden – sie seien nicht vergessen.

"Ich vertraue auf nichts"

„Wir haben lange für die Rechte von Frauen gekämpft“, sagt er den PNN weiter – dafür, dass Mädchen eine Schule besuchen dürfen, Frauen arbeiten können. Schon jetzt gebe es Anzeichen, dass das wieder vorbei sein könnte. „Schulen haben geschlossen, Banken haben ihre Mitarbeiterinnen nach Hause geschickt“, sagt der junge Mann, der mit seiner Familie in der afghanischen Hauptstadt so gut es geht in Kontakt steht – und hofft, sie nach Deutschland holen zu können. Ohne im Moment zu wissen, wie. Zwar gebe es Stimmen, die darauf vertrauten, dass die Taliban nicht alle Menschenrechte mit Füßen treten werden, wenn sie von der internationalen Gemeinschaft nicht geächtet werden wollen. „Ich vertraue auf nichts“, sagt er.

Weinende afghanische Familien in der Beratungsstelle

„Die machen, was sie wollen“, sagt auch Fereshta Hussain. „Als Frau würde ich mich in Kabul nicht mehr aus dem Haus trauen.“ Die 39-Jährige ist Vorsitzende des Potsdamer Migrantenbeirats und setzt sich dort besonders für die Bildung von Frauen ein. Im Jahr 2000 kam sie mit ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern aus Afghanistan nach Potsdam. 

Die Deutsch-Afghanin arbeitet hauptberuflich als Koordinatorin für Willkommenskultur im SOS-Familienzentrum in Berlin-Hellersdorf. In der Beratungsstelle seien ihr am Montag mehrere weinende, afghanische Familien gegenübergesessen, die große Angst um ihre Angehörigen in der alten Heimat haben. Auch am Sonntag bei Gesprächen im Babelsberger Begegnungscafé des evangelischen Kirchenkreises sei das so gewesen: bedrückte Menschen, die um die Sicherheit von Freunden und Verwandten bangten. 

Wenn es überhaupt einen Weg aus dieser Hölle gebe, dann könnten sich die meisten kein Flugticket leisten, so Hussain. Sie hofft, womöglich über Spenden weiterhelfen, von Potsdam aus etwas Hoffnung geben zu können, falls sich hier mehrere Engagierte zusammenschließen.

Kapazitäten für Flüchtlinge bei Partnerstädten angefragt

Die Stadt Potsdam will zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen – und das hier gegründete Netzwerk „Städte sichere Häfen“ einbeziehen. Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sagte den PNN am Montag, man habe sich an die Partnerstädte gewandt – um abzufragen, welche Kapazitäten für zusätzliche Aufnahmen von Flüchtlingen zu schaffen seien. 

Es gehe vor allem um Ortskräfte – also afghanische Helfer, die die Bundeswehr bei ihrem beendeten Einsatz in dem Land unterstützten und die nun mit dem Schlimmsten rechnen müssen. Auf Facebook verknüpfte Schubert das mit einer persönlichen Erfahrung: 2002 war er als Bundeswehrsoldat im Kosovo. Dort habe er den Sprachmittler Bajram kennen- und schätzen gelernt, eine Ortskraft. 

„Der Kosovo war und ist nicht Afghanistan“, so Schubert. „Wenn ich aber sehe, wie seit Wochen gezögert und diskutiert wird und wie wir mit denen umgehen, die für uns vor Ort gearbeitet haben, dann ist Enttäuschung noch das mildeste Wort, das mir dafür einfällt.“ Bereits am Sonntag hatte Schubert im sozialen Netzwerk Twitter einen Aufruf geteilt, in dem eine Luftbrücke nach Afghanistan gefordert wurden.

Die Potsdamer Linke ruft für heute 19 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Landtag unter dem Motto „Humanitäre Luftbrücke jetzt – Afghanistans Bevölkerung nicht im Stich lassen“, auf. Anmelder ist der Bundestagsabgeordnete und Direktkandidat für die Bundestagswahl, Norbert Müller. „Die Lage spitzt sich stündlich zu und Städte wie Potsdam sind bereit, die Menschen aufzunehmen“, so Müller.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false