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Landeshauptstadt: Angst vor autonomen Bürgern

Politologe kritisiert Umsetzung des Potsdamer Bürgerhaushalts – Mitsprache nicht klar geregelt

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Das Bürgerwissen der Potsdamer wird von der Verwaltung kaum genutzt. Zu diesem Schluss kommt der Potsdamer Politikwissenschaftler Carsten Herzberg. „Man nutzt die Potentiale nicht, die da sind“, sagt er mit Blick auf das Bürgerhaushalts-Projekt. Die Stadt nutze das Bürgerhaushaltsprojekt, um den Bürgern die finanzielle Notsituation verständlich zu machen. Ein „symbolischer Widerspruch“, findet Herzberg, der zum Thema Bürgerbeteiligung promoviert hat und für die Fraktion Die Andere im Aufsichtsrat der Stadtwerke sitzt: Denn gleichzeitig werde „ein Großprojekt nach dem anderen“ finanziert.

Carsten Herzberg untersuchte zusammen mit Cécile Cuny verschiedene Bürgerhaushalte in Berlin und Brandenburg. Die Ergebnisse veröffentlichten sie im Oktober in einer Studie, die am deutsch-französischen Institut „Centre Marc Bloch“ in Berlin im Rahmen des Projekts „Picri“ entstanden ist. Es ist laut Herzberg die erste Vergleichsuntersuchung für die Region.

Darin analysieren Cuny und Herzberg nicht den aktuellen Bürgerhaushalt, sondern das Verfahren 2005. „Das mobilisierte Bürgerwissen ist allgemein nicht sehr stark“, so die Feststellung der Autoren. Das könnte im Fall Potsdam an der geringen Beteiligung liegen, argumentieren sie: „Zum anderen machten Parteien den Bürgerhaushalt zur Bühne ihrer Politik.“ In der Landeshauptstadt ging es nach Einschätzung der Autoren weniger um die Einbeziehung der Bürger, sondern darum, „das Wissen der Bürger zu erweitern“. Der Diskussionsprozess laufe einseitig ab: „Dabei genügt es nicht, wenn die Verwaltung ihre Sprache in die der Bürger übersetzt, sondern sie muss auch lernen, die Teilnehmer zur Optimierung der eigenen Arbeit zu nutzen.“ Die thematische Begrenzung der Projekte sei Folge der Angst vor unerwünschten Bürger-Forderungen, vermuten die Autoren unter dem Stichwort „Angst vor dem autonomen Bürger“. Im Idealfall sollten Bürger das Wissen der Experten ergänzen oder „gleichberechtigte Partner“ der Verwaltung werden.

Davon sei Potsdam auch bei der Neuauflage des Bürgerhaushalts in diesem Jahr weit entfernt: Selbst wenn das Verfahren „klarer“ geworden sei und die Prioritätensetzung durch die Bürger einen „wichtigen Qualitätszuwachs“ darstellt, wie Herzberg sagt. „Die Möglichkeiten der Mitsprache sind nicht klar abgesteckt“, kritisiert er. Zudem sei die Beteiligung gering. Dem könne man entgegenwirken, wenn man „dahin geht, wo die Bürger sind“: Denkbar seien zum Beispiel Info-Stände in Fußgängerzonen.

Erstmals konnten die Potsdamer in diesem Jahr auch per Internet Vorschläge für den Bürgerhaushalt einreichen. Insgesamt sind 203 Vorschläge eingegangen. Im Voting-Verfahren sollen die Bürger ab dem 10. Dezember entscheiden, welche Vorschläge sie als wichtig empfinden. Die Top-20 sollen im Februar 2008 als „Liste der Bürgerinnen und Bürger“ in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht werden. Jana Haase

Die Studie im Internet unter:

www.buergerhaushalt-europa.de

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