Von Erik Wenk: Angst vor der Mailbox
Das Jugend-Phänomen Cyber-Mobbing ist längst auch in Potsdam angekommen
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„Ich hab’ bei knuddels.de immer Nachrichten gekriegt, pro Tag fast 15 Stück“, erzählt Heiko. Auf der Chat-Plattform hatte plötzlich jemand begonnen, dem 14-jährigen Schüler unangenehme Botschaften zu senden. Der Inhalt war meist derselbe: „Ich krieg’ dich; Ich bring dich um; Deine Mutter ist ’ne Bitch; “ Wem er diesen Psychoterror zu verdanken hatte, wusste er nicht, obwohl er natürlich einen Mitschüler im Verdacht hatte. Nach anderthalb Jahren ist er mit seinen Eltern zur Polizei gegangen; dann hörte der Spuk auf.
Heiko ist Opfer von Cyber-Mobbing geworden, und er ist nicht allein. Wo früher auf dem Schulhof systematisch gehänselt oder diskriminiert wurde, geschieht dies heute immer öfter per Handy, in Internetforen, Chatrooms, sozialen Netzwerken oder Online-Rollenspielen.
Szenenwechsel: Rund ein Dutzend Pädagogen sitzt in der Medienwerkstatt am Schlaatz, um sich in einem Cyber-Mobbing-Seminar über das auch für sie noch neue Problem zu informieren. „Kinder sagen ja nicht: ‚Juhu, ich werde gemobbt!’“, sagt Marion Kücholl vom Bund deutscher Pfadfinderinnen. Sie will nun erfahren, wie man Cyber-Mobbing erkennt und Eltern dafür sensibilisiert.
„Da vor allem Jugendliche neue Medien nutzen, findet Cyber-Mobbing vor allem bei den 14- bis 16-jährigen statt“, sagt Medienpädagogin Ute Parthum, die das heutige Cyber-Mobbing-Seminar mitleitet. Die Täter sind zu 70 Prozent männlich, die Opfer hingegen meist Mädchen. Laut aktuellen Studien hatte jeder vierte Schüler bereits Erfahrungen mit Cyber- Mobbing oder kennt Mobbing-Opfer. Die Bildung spielt dabei kaum eine Rolle: Gemobbt wird an Hauptschulen genauso wie an Gymnasien. „Fehlende Kommunikationskultur und unausgereiftes Empathie-Vermögen“ seien wesentliche Gründe, sagt Parthum.
Das Schwierige für Lehrer, Eltern und Angehörige besteht darin, zunächst einmal überhaupt zu entdecken, dass Cyber- Mobbing geschieht. Wenn es bemerkt wird, kommt erschwerend hinzu, dass Erwachsene Mobbing als kindische Streiterei abtun. Viele Lehrer nehmen Mobbing als Normalzustand hin, aber die Konsequenzen können frappierend sein: „Es ging so weit, dass ich drei, vier Wochen nicht in die Schule gegangen bin“, erzählt die 14-jährige Alina. In der Schule schrieb sie schlechte Noten und hatte ständig Bauchschmerzen. Panikattacken, Schlafstörungen und Anfälligkeit für Krankheiten können weitere Folgen der psychischen Gewalt sein. Manchen hilft nur noch, die Schule zu wechseln. „In Extremfällen kann es sogar bis zum Selbstmord oder Amoklauf des Opfers kommen“, warnt Kriminalhauptkommissarin Renate Michael, die im Seminar Fragen zur rechtlichen Situation beantwortet.
Einfach den Computer abschalten geht nicht, denn der Zugriff auf das Opfer ist zeitlich unbegrenzt, und „hört nicht nach der Schule auf“, so Parthum. Außerdem enthemmt die Anonymität des Webs, der Schritt zum Täter ist schnell. Das Internet bietet Mobbern ein unüberschaubar großes Publikum; mit geringem Aufwand lassen sich große Wirkungen hervorrufen. Das ständige und anonyme Mobbing löst bei den Opfern diffuse Ängste aus: „Man fühlt sich, als ob man in ein tiefes Loch verbuddelt wird“, meint Diandra.
Die zwölfjährige Schülerin erzählt, wie sie nach einem Streit in der Schule zum Cyber-Mobbing-Opfer wurde: Jemand hackte sich in ihr schülerVZ-Profil, änderte ihren Namen auf obszön-beleidigende Weise, und ersetzte ihr Profilbild durch ein pornographisches Foto. Noch unangenehmer kann es werden, wenn regelrechter Identitätsklau stattfindet: Die Mobber geben sich im Netz als das Opfer aus, schreiben beispielsweise in Foren, dass sie Hitler gut fänden, alle Lehrer hassen oder – meist bei weiblichen Opfern – mit jedem ins Bett gehen würden. Das Schlimme dabei ist, dass das Opfer das Ausmaß des Rufmords nicht nur schwer überblicken kann, sondern auch lange Zeit nichts davon mitbekommt. Erst wenn Freunde sich distanzieren, wird den Betroffenen langsam klar, dass etwas nicht stimmt.
Ob virtuell oder real, in beiden Fällen gilt: „Mobbing hört erst auf, wenn von außen interveniert wird“, so Sozial- und Medienpädagogin Grit Sujata. Strafrechtlich lässt sich Mobbing zwar verfolgen, aber vieles liegt in einer Grauzone, und das Strafrecht gilt erst ab 14 Jahren. Besser ist es ohnehin, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen: Neben der Prävention sollen Jugendliche mehr Medienkompetenz erlangen, damit virtuelle Identitäten nicht das reale Leben kaputtmachen können.
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