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Landeshauptstadt: Anruf gegen Einsamkeit

Gisela Gehrmann will ein Wohlfühltelefon für Senioren einrichten. In Berlin gibt es das schon

Stand:

Franz Müller ist stark gehbehindert und kann seine Wohnung kaum noch verlassen. Sein Sohn ist Fernfahrer und viel auf Achse. Lisbeth Krause, früher eine sehr unternehmungslustige alte Dame, plagen Krankheiten. Noch aber will sie ihre Wohnung nicht verlassen. Eine Krankenschwester betreut sie medizinisch, doch für ein ausgedehntes Schwätzchen bleibt keine Zeit. Und so stellen sich über die Tage und Wochen Langeweile, Kontaktarmut und Einsamkeit ein. Fremde oder flüchtig Bekannte, auch wenn sie sich vorher angekündigt haben, würde keiner von den beiden in die Wohnung lassen. Aus Sicherheitsgründen. Es werde immer wieder von der Polizei gewarnt, meinen beide unabhängig voneinander, und es sei ja schon so viel passiert. Deshalb kam die Gerontologin Gisela Gehrmann, die mit ihrer Einrichtung „Schickes Altern“ und dem Verein „Selbstbewusst altern in Europa“ den noch taffen vielseitig interessierten Potsdamern von 50 Jahren und älter interessante Angebote macht, auf die Idee, ein „Wohlfühltelefon“ einzurichten für die, die ihre Wohnung kaum noch verlassen können.

Geplant ist, dass die teilnehmenden Senioren ein- bis zweimal in der Woche zu fest vereinbarten Zeiten angerufen werden. Die Gespräche sollen sich um alle Themen drehen, die alte Menschen bewegen. Es geht um Lebenserinnerungen, Sorgen, aktuelle Lebenskrisen, fröhliche Enkelgeschichten und vieles mehr.

Ein solches Wohlfühltelefon gibt es bereits seit 2007 in Berlin. Eingerichtet hat es das soziale Netzwerk „Sophia Berlin und Brandenburg“, eine Gründung der Degewo und der Berliner Genossenschaft e.G., inzwischen nutzen es rund 500 Teilnehmer. Weil die Partner am Wohlfühltelefon möglichst immer dieselben bleiben, bilde sich oft ein enges Vertrauensverhältnis heraus, das weit darüber hinaus geht, sagt Melanie Rosliwek-Hollering, die als Prokuristin für Sophia arbeitet und die auch für das Wohlfühltelefon zuständig ist. Die Senioren teilen ihrem Telefonpartner nicht nur ihre Sorgen und Nöte mit, sondern holen sich auch Beistand und Rat. Sollte fachliche Hilfe vonnöten und auch gewünscht sein, dann wird das an die entsprechende Stelle weitergeleitet. Aber auch nur dann. Ansonsten bleibt es beim vertrauensvollen, anonymen Kontakt.

„Sophia Berlin-Brandenburg“ hat sich nun bereit erklärt, Potsdam bei der Einrichtung des Wohlfühltelefons zu helfen, das im Herbst starten soll. Erste Ehrenamtler haben sich schon gemeldet. So möchte eine Potsdamerin einsteigen, die selbst schon 66 Jahre alt ist und Erfahrungen in der Seniorenbetreuung hat. Telefonkontakte, findet sie, sind weniger belastend als eine direkte Betreuung, der Abstand und die Anonymität würden helfen, Vertrauen allmählich aufzubauen.

Erste Anfragen von Senioren, die angerufen werden wollen, gibt es ebenfalls. Einer von ihnen hat schon ganz genaue Vorstellungen, worüber er reden will: über aktuelle Politik. Und es gibt auch schon einen Coach, der die Ehrenamtler auf ihre sicher nicht immer leichte Aufgabe vorbereiten wird – Stefan Pinter ist Kommunikationstrainer und arbeitet bei der Telefonseelsorge mit. Ein Ehrenamtler, erklärt er, der mit dem einsamen älteren Menschen spricht, muss zuhören können, das aber nicht nur passiv. Er soll vielmehr ein Gespür für seinen Partner entwickeln und an der Stimme und der Art des Erzählens erkennen, wie es dem Gegenüber geht. Dann lasse sich leichter ein Dialog herstellen. Am Anfang des Gesprächs sollte die Frage stehen, worum es beim Gedankenaustausch gehen soll. Wichtig sei auch, sagt Pinter, dass man schließlich das Gespräch auf freundliche Weise beenden könne. Bei der Telefon-Seelsorge redet er mit den Ehrenamtlern vor allem über die Gespräche, die nicht so optimal gelaufen sind und versucht zu analysieren, warum es bestimmte Reaktionen gab. Beim Wohlfühltelefon – so die Berliner Erfahrung – sei das Gespräch miteinander allerdings einfacher als bei der Seelsorge.

Allerdings wird auch in Potsdam ein Unkostenbeitrag von etwa 20 Euro pro Momant erhoben werden, eine Preisminderung gibt es, wenn sich Wohnungsvermieter an den Unkosten beteiligen. Gisela Gehmann will auch prüfen, ob sie das Sozialamt in bestimmten Fällen einschalten kann. Hella Dittfeld

Interessierte wenden sich an Gisela Gehrmann, Telefon (0331) 6207973. Auch Ehrenamtler, die mit den Senioren telefonieren, werden noch gesucht.

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