Von Günter Schenke: Anwohner fürchten um ihre Kinder
Kreuzung ohne Ampel und Schild: Bürger sprechen sich gegen Verkehrs-Pilotprojekt „Shared Space“ aus
Stand:
Babelsberg - Sie wollen lieber Ampeln und Schilder: Die Umgestaltung der Kreuzung am Café Babelsberg nach niederländischem Muster lehnen die Anwohner einhellig ab. Das ist das Fazit einer Bürgerveranstaltung, zu der sich am Samstag über vierzig Teilnehmer im neuen Pflegewohnstift in der Paul-Neumann-Straße versammelt hatten.
Wie berichtet, ist Potsdam eine von drei Städten im Land Brandenburg, in der das „Shared Space“ genannte Konzept versucht werden soll: keine Verkehrsschilder und Fahrbahnmarkierungen, keine Trennung von Fahr- und Gehweg, die Stärkeren nehmen auf die Schwächeren Rücksicht, Kinder sollen auf der Straße spielen und die Menschen im öffentlichen Raum miteinander kommunizieren.
Mit der Machbarkeitsuntersuchung hat die Potsdamer Verkehrsplanung ein Dortmunder Büro beauftragt. Von diesem zeigte Diplomingenieur Michael Groenewald ein Video aus Drachten in den Niederlanden, wo die gleichberechtigte Nutzung des Straßenraums erfunden wurde. Das Video zeigt kreuz und quer fahrende Autos, einen Bus, zahlreiche Radfahrer und die Straße querenden Fußgänger. Der „stärkere“ motorisierte Verkehr nimmt Rücksicht; die Autos halten an, wenn sie auf einen Fußgänger oder Radfahrer zufahren und auch rechts befindliche Autos warten, um von links kommende Fahrzeuge vorzulassen.
„Da traue ich mich nicht mehr raus“, sagt Blindenberaterin Stephanie Seidel. Jemand anders äußerte: „Da kriege ich Angst“. Groenewald hatte zuvor vom „Blickkontakt“ der Verkehrsteilnehmer gesprochen, für Blinde mag das makaber klingen. „Aber auch viele ältere Menschen haben Probleme“, sagt Seidel und das neue Konzept biete ihnen keine Orientierungsmöglichkeiten. Besonders besorgt äußerten sich die Anwohner über die Gefährdung der Kinder, welche die Schule, den Sportplatz oder in den Kindergarten besuchen. Wie solle das funktionieren, wenn in der übrigen Stadt andere Regeln gelten? „Wer übernimmt die Verantwortung?“ Bernd Kahle von der Stadtverwaltung versuchte, die erregten Gemüter zu beruhigen: „Wir stehen ja erst am Anfang der Konzeption“. Und: „Für Behinderte gibt es keine Verschlechterung.“ Am Straßenverkehrsrecht ändere sich ebenfalls nichts.
Warum nicht mal etwas Neues versuchen, hatte sich die Verwaltung offenbar gesagt, zumal das Land Fördermittel in Aussicht gestellt hatte. Die Kreuzung Paul-Neumann-Straße/Pestalozzi-/Rosen- und Althoffstraße schien als Versuchsobjekt geeignet zu sein. Der an sich schöne Platz, für Fremde jedoch schon heute kompliziert, soll attraktiver werden und zum Verweilen einladen. Von einer „grundlegenden Neugestaltung des Straßenraums“ ist die Rede. Die Vertreter der dortigen Wohngenossenschaft sind skeptisch. „Auf dem Platz bauen wir Klein-Sanssouci und nebenan bleibt alles beim Alten“, so die Kritik. Notwendig wäre hingegen, bestehende Schadstellen wie die Berg-und-Tal- Bürgersteige aufzubessern.
Trotz der Einwände setzt die Dortmunder „Planersozietät“ die Machbarkeitsuntersuchung fort. Eine weitere Bürgerveranstaltung ist im Januar geplant. Im Februar will das Büro konkrete Maßnahmen vorlegen. Ob es anschließend zur Umgestaltung der Kreuzung ohne Verkehrsschilder und Markierungen kommt, ist damit nicht entschieden. Vielleicht kommt es auch so, wie eine Bürgerin in ihrer Frage wünschte: „Kann nicht alles so bleiben wie es ist?“
Günter Schenke
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: