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Diagnose Kunst. Die angehende Pädagogin Jirka Metzner von der Uni Potsdam will in ihren Werken Blutgruppe (l.), kurzsichtig (r.u.) und Haar 1N1 (r.o.) dem menschlichen Körper im medizinischen Kontext künstlerisch begegnen.

© Andreas Klaer

Von Almut Andreae: Ästhetisches Laboratorium

Studierende der Uni Potsdam und der Kunsthochschule Berlin-Weißensee stellen gemeinsam aus

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Die Exponate auf weißen Sockeln und an der Wand, fein säuberlich arrangiert in Reih und Glied, haben auf den ersten Blick so gar nichts mit künstlerischen Dingen gemein. Zumal Röntgenaufnahmen, Röhrchen mit Blut und andere körperliche Substanzen die Präsentation stark dominieren. Die Assoziation an ein medizinisches Labor kommt nicht von ungefähr. Folgt doch das Arrangement mit Körperflüssigkeiten, Menschenhaar und Leuchtkästen einem stringenten Konzept. „Der menschliche Körper als Schnittstelle zwischen Kunst und Medizin“ steht konkret im Raum 1 der aktuellen Ausstellung in der Ticket-Galerie zur Disposition. Jirka Metzner, die als angehende Pädagogin Biologie und Kunst im Lehramt an der Universität Potsdam studierte, beschritt im Rahmen ihrer Examensarbeit neue Wege, um „dem menschlichen Körper im medizinischen Kontext künstlerisch zu begegnen“. Ähnlich gelagerte Vorhaben auf diesem Gebiet, darunter eine Ausstellung zum Thema „Diagnose Kunst – Die Medizin im Spiegel der zeitgenössischen Kunst“, bezog sie bei ihrer Annäherung an die Thematik mit ein.

Zur wichtigsten Referenz für Jirka Metzner jedoch wurde ihre ganz persönliche Sicht, gepaart mit eigenen Erfahrungen als Patientin wie auch als ausgebildete Krankenschwester. Letzteres versetzte sie beispielsweise in die Lage, sich durch Punktion der Kapillargefäße ihrer linken Hand selbst Blut abzunehmen. In der Arbeit „Blutprobe“ hat sie die Röhrchen mit den entnommenen Proben in eine eigens für den Zweck erstellte Röntgenaufnahme ihrer linken Hand integriert. Ein weiterer Selbstversuch verbirgt sich hinter der Arbeit „modifiziert“. Grafisch ansprechend wurden hierfür schmale Streifen unterschiedlicher Färbung in einer Collage vereint. Jenseits ihrer ursprünglich diagnostischen Funktion entfalten in diesem Fall 70 Urinteststreifen im Objektkasten einen ganz eigenen ästhetischen Reiz. In der sechsteiligen Arbeit „mutiert“ stellte Jirka Metzner mit Hilfe von Glühlampenfragmenten in Objektkästen Chromosombilder genetischer Anomalien nach.

Mit jeder einzelnen Arbeit hinterfragt und durchleuchtet sie gängige Praktiken heutiger Medizin im Umgang mit dem Patienten. „Um Haaresbreite“, eine gerahmte Papierarbeit mit Menschenhaar auf Bristolkarton in Strichcode-Optik, spielt unmittelbar auf den von der WHO herausgegebenen Code ICD zur Diagnoseverschlüsselung an. Hintergrundinformationen wie diese kann man in dem aufschlussreichen Beiheft zur Ausstellung nachlesen, das Konzept und Ergebnisse der Examensarbeit auf anschauliche Weise resümiert.

„Die Krankheit ist von Bedeutung, nicht der Patient“, beschreibt Jirka Metzner hier ein Grunddilemma, mit dem sie sich in ihrer künstlerischen Arbeit entschieden auseinandersetzt. Selbst gewonnene Einblicke in das oft janusköpfige Gesicht moderner Medizin werden zum inhaltlichen Humus ihres Engagements. Besonders nachhaltig wirkt ihre filmische Arbeit „Ans Bett gefesselt“. In diesem, als „extrem“ empfundenen Selbstversuch ließ sich Jirka Metzner von einem Pfleger an den Hand- und Fußgelenken sowie an der Hüfte am Bett fixieren. Die Gefühle von Ausgeliefertsein und Ohnmacht dieser nach zwei Stunden abgebrochenen Grenzerfahrung werden selbst für einen als Außenstehenden beinahe körperlich nachvollziehbar. Bei Jirka Metzner wird der eigene Körper zum Medium der künstlerischen Aussage. Direkter, konsequenter kann eine Botschaft kaum sein.

Noch einmal eine ganz andere Position an der Schnittstelle zwischen Kunst und Medizin erlebt man im Teil 2 der Doppelausstellung, untertitelt als „Ästhetisches Laboratorium“. Hier führen Studierende der Kunsthochschule Berlin-Weißensee in selbst gefertigten Anschauungsmodellen funktionelle Zusammenhänge der menschlichen Anatomie und Morphologie plastisch vor Augen. Angeleitet in dieser Grundlagenarbeit wurden sie von Prof. Manfred Zoller, Humanmediziner und Lehrstuhlinhaber für Anatomie und Morphologie in Weißensee. Studierende der Fachbereiche Bühnenbild, Mode, Malerei, Bildhauerei und Produktdesign haben die Gratwanderung zwischen anatomischem Modell und ästhetischem Objekt gemeistert. Gefertigt aus Holz, Draht, Schnüren, Gummis, Kunststoff und Textil wird da etwa die Mobilität der Zunge oder das Zusammenspiel von Zwerchfell und Bauchmuskulatur künstlerisch-ästhetisch zur Anschauung gebracht.

Die gemeinsame Ausstellung an der Schnittstelle zwischen Kunst und Medizin lässt die beiden Initiatoren des Berlin-Potsdamer Hochschulprojekts, Maike-Anna Aissen-Crewett und Manfred Zoller, bereits an Folgeveranstaltungen denken.

„Kunst und Medizin – Ästhetisches Laboratorium“: bis zum 20. August, Mo bis Fr 10 bis 17 Uhr, Ticket-Galerie, Nikolaisaal Potsdam, Wilhelm-Staab-Str. 10/11.

Almut Andreae

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