Von Holger Catenhusen: Atom-Psychose
Am Dienstabend wurde im Babelsberger Filmgymnasium über den Tschernobylstreifen „U.F.O.“ diskutiert
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Eine Frau steht in ihrer Wohnung. Sie hält das Staubsaugerrohr ans Fenster, um auf diese Weise das Eindringen von Radioaktivität zu verhindern. Katastrophe, Irrsinn, Wahnsinn. Mit dem Film „U.F.O.“ zeigte das Babelsberger Filmgymnasium am Dienstagabend einen beklemmend aktuellen Streifen des Regisseurs Burkhard Feige. Bereits lange vor der Atomkatastrophe in Japan plante die Schule, ihren Schülern den Film im Rahmen der Reihe „Einer von uns“ zu zeigen. Vorgestellt werden in dieser Reihe Filme, in denen Schüler des Gymnasiums mitspielen. In U.F.O ist „einer von uns“ der 16-jährige Sven Gielnik. Er spielt darin den Teenager Mark.
Die Familie von Mark ist gerade umgezogen. Sie wohnt jetzt in einem großen, gesichtslosen Beton- Mehrfamilienhaus in Süddeutschland. Das Kernkraftwerk Philippsburg in der Nähe, Hochspannungskabel in Sichtweite. Es ist die Zeit der Proteste gegen den geplanten Bau der Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe in Wackersdorf. „Mal richtig abschalten“ lautet ein Slogan dieser Tage. Die Tagesschau zeigt die Proteste, die Welt redet vom Atomkrieg und hofft auf die Gipfeltreffen von US-Präsident Reagan und dem sowjetischem Staats- und Parteichef Gorbatschow. Mark und seine Familie versuchen, nach dem anfänglichen Umzugschaos wieder Boden unter den Füßen zu bekommen, da verlieren sie ihn schon bald wieder. Ein Katastrophenszenario jagt das nächste. Marks jüngerer Bruder Bodo (Henry Stange) sitzt vor dem Fernseher und schaut sich mit seiner Mutter Christa (Julia Brendler) den Start der Raumfähre Challenger an. Wenige Sekunden nach dem Start geht die Raumfähre in einem Feuerball auf. Bodo kann das nicht verstehen, denn er, der technikbegeisterte Teenager, vertraut den Amerikanern und ihrer Computertechnik. Und nun dies. Doch bald kommen die Bedrohungen durch Hochtechnologie noch viel näher. Tschernobyl. Ein Atomreaktor in der Ukraine, die noch zur Sowjetunion gehört, explodiert. Große Mengen Radioaktivität werden freigesetzt. Bodo und seine Mitschüler bekommen schulfrei. Die Menschen sind verunsichert. Können die Kinder noch im Freien spielen? Darf man bei Regen überhaupt aus dem Haus gehen? Die Angst vor der radioaktiven Wolke macht sich breit. Bodos Mutter Christa kauft palettenweise Trockenmilch. Die Frischmilch könnte ja ihre ganze Familie vergiften, so ihre Meinung. Mit Regenmantel und Kopftuch will sie sich vor der Strahlung schützen. Vater Robert (Jan Messutat) und Bodos älterer Bruder Mark sehen das etwas gelassener. Robert ist ohnehin mit seiner neuen Arbeit beschäftigt, Mark mit einer hübschen Mitschülerin.
So schreitet die ganz familiäre Katastrophe voran. Die Mutter steigert sich immer weiter in Bedrohungsszenarien hinein. Bodo, der seine Mutter liebt, folgt ihr. Angst und Wahnsinn durchjagen Mutter Christa. So steht sie schließlich am Fenster mit ihrem Staubsauger gegen die Radioaktivität. Ihrem Bodo flüstert sie zu: „Bodo, ich bin nicht verrückt, ich weiß halt alles.“ Irgendwann ist die ganze Familie in heller Aufregung. Mutter Christa kommt ins Krankenhaus. Die Ärzte diagnostizieren eine Psychose. Das Familiendrama nimmt seinen Lauf.
Die Schüler des Filmgymnasiums hatten mit diesem Film gleich zwei schwierige Themen vor Augen: die Psychose eines Menschen und die Bedrohung durch Radioaktivität. Im anschließenden Filmgespräch mit Regisseur Feige und Darsteller Gielnik stellte die 18-jährige Moderatorin und Schülerin des Filmgymnasiums Melanie Wälde denn auch die Frage, warum in dem Film gleich zwei derartig bedrohliche Szenarien ausgeleuchtet wurden. Regisseur Feige meinte dazu, es habe einer „Bedrohung von außen“ bedurft, um die innere Bedrohung der Mutter durch ihre Psychose wirkungsvoll inszenieren zu können. Er habe versucht, die unterschiedlichen Reaktionen von Menschen auf Bedrohungen anhand des „Mikrokosmos Familie“ darzustellen.
Die Schüler des Filmgymnasium schienen vom Film beeindruckt zu sein. Der 15-jährige Kevin Bergemann empfand den Film als „tiefgründig“, wie er sagt. Moderatorin Melanie Wälde hat der Film „extrem angesprochen wegen der Machart und weil die Sicht von Bodo gezeigt wurde“. Sie finde es gut, dass angesichts der Ereignisse in Japan wieder verstärkt über die Risiken der Atomkraft gesprochen werde. In Deutschland sei ja nicht nur die Möglichkeit einer Havarie in einem Atomkraftwerk gegeben. Auch wenn Deutschland eine Katastrophe wie in Japan erspart bleiben sollte, hätten die Deutschen bereits jetzt ein großes Problem: Niemand wisse, wohin mit dem Atommüll.
Die zwölfjährige Marlene Lorenz fand den Film „cool“, obwohl er natürlich auch traurig sei. Zur aktuellen Bedrohung durch das havarierte Kernkraftwerk in Fukushima sagt sie: „Japan macht mir auch schon irgendwie Angst.“ Als Darsteller Gielnik von der Atomkatastrophe in Japan hörte, habe er natürlich gleich an seinen Film denken müssen, dessen Dreh mittlerweile eineinhalb Jahre zurückliegt. Die Situation in Japan gehe ihm schon nahe.
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