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Der Fall Adolf Seefeld. Bei der Suche nach den Leichen der vermissten Kinder kam auch Fährtenhund „Schimmel“ zum Einsatz.

© Archiv Michael Stricker

In Potsdam geborener Kindermörder: Auf dem Schulweg abgefangen

Adolf Seefeld, geboren in Potsdam und hingerichtet 1936, gilt als schrecklichster Kindermörder in der deutschen Kriminalgeschichte. Jetzt erschien ein neues Buch zu seinem Fall.

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Zwölf oder 100? Oder mehr? Bis heute kann keiner sagen, wie viele Kinder Adolf Seefeld bis zu seiner letzten Verhaftung im April 1935 ermordet hat. Das Schweriner Geschworenengericht verurteilte ihn zum Tode für mindestens zwölf Morde, die ihm nachgewiesen werden konnten. Am 23. Mai 1936 wurde er mit dem Fallbeil hingerichtet.

Bis zuletzt hatten Kriminalisten versucht, aus Seefeld herauszukriegen, was tatsächlich geschehen war, vor allem wie er die Kinder, nachdem er sie sexuell missbraucht hatte, tötete. Kinder, die merkwürdigerweise fast alle in friedlich schlafender Körperhaltung im Wald gefunden worden waren. Hatte er sie vergiftet? Mit selbst hergestelltem Chloroform erstickt? Hypnotisiert? Bis heute konnte das nicht sicher geklärt werden.

Es wird vermutet, dass er noch mehr Kinder auf dem Gewissen hatte

Es wird zudem vermutet, dass der pädophile Serienmörder, geboren 1870 in Potsdam, wesentlich mehr Kinder auf dem Gewissen hatte. Dass die Morde damals nicht als solche erkannt wurden oder man mit den damaligen Untersuchungsmethoden nie einen Zusammenhang zwischen den Todesfällen, die sich über Jahrzehnte hinweg in ganz Deutschland ereigneten und nicht immer räumlich beieinanderlagen, feststellte.

Jetzt haben sich zwei Experten noch einmal mit dem Fall Adolf Seefeld beschäftigt: Frank-Rainer Schurich, ehemals Professor für Kriminalistik an der Berliner Humboldt-Universität, und Michael Sticker, Diplomkriminalist aus Schwerin, haben Akten, Protokolle, Berichte und Gutachten zusammengetragen, gesichtet, neu bewertet und mit aktuellen Stellungnahmen verschiedener Sachverständiger ergänzt. Im vergangenen Jahr erschien daraufhin das Buch „Der Serienmörder Adolf Seefeld und die moderne Kriminalistik“.

Beobachter des Prozesses um den Mörder von Elias und Mohamed mag das Buch besonders berühren

Wer in den vergangenen Monaten in Potsdam den Prozess um den Mörder der Jungen Elias und Mohamed verfolgte, den mag das Buch besonders berühren. Weil es Einblicke in die schwierige Arbeit von Polizei und Ermittler bietet, originale Aussagen aller Beteiligten als auch des Angeklagten selbst auflistet. Weil es zeigt, wie sich die kriminalistische Arbeit damals gerade veränderte und modernisierte. Und weil es den Autoren im ersten Teil des Buches gelingt, die Tathergänge als auch die beteiligten Personen romanhaft, fesselnd und dennoch nüchtern-authentisch zu zeichnen. Ein Versuch, der Wahrheit nahezukommen – „wohlwissend, dass in den Akten nicht immer die Wahrheit aufgeschrieben worden ist. Das war früher so, und das ist auch heute so“, so die Autoren.

Eine Einordnung des Falles in die Zeit des Nationalsozialismus – den Nazis kam so ein Vagabund und Hausierer gerade recht für ihre Propagandazwecke und zur Unterstützung der Idee der NS-Eugenik – wird vorgenommen, fällt aber knapp aus. „Wir haben uns auf die kriminalistischen und kriminologischen Aspekte des Falles konzentriert.“ Erwähnt wird, dass sich die Gestapo für Seefeld interessiert. Der Staatsanwalt droht sogar mit den Verhörmethoden der Gestapo, um seinerseits Seefeld zum Aussagen zu bewegen. Was zuletzt auch gelingt.

Der Lebenslauf liest sich wie eine Katastrophe

Seefelds Lebenslauf liest sich wie eine Katastrophe. Er ist das siebte Kind seiner Eltern und bleibt nach deren Trennung beim Vater und einer lieblosen Stiefmutter. Er sagt aus, als Elfjähriger selbst Missbrauch erlebt zu haben. Er wird Schlosser, stellt sich geschickt an beim Reparieren von Uhren. Hat Beziehungen mit Frauen, die nie halten, zeugt mehrere Kinder, heiratet sogar einmal. Er hat keinen festen Wohnsitz, treibt sich rum, zeitweise als wandernder Uhrmacher, beginnt Bekanntschaften mit Männern. Und fängt irgendwann an, Jungen zu missbrauchen.

Er ist geschickt, deren Vertrauen zu gewinnen; er ist der nette Onkel, der sie vor dem Kino oder auf dem Schulweg anspricht, er verspricht ihnen Geld, Geschenke, Abenteuer, Tiere beobachten im Wald. Wo er sich an ihnen vergeht und sie anschließend tötet. Immer wieder wird er in den ersten Jahren dabei erwischt oder seine Versuche scheitern, es gibt Zeugen, er wird verurteilt und verbringt viele Jahre im Gefängnis. Aber er kommt auch immer wieder frei. Zuletzt kann er nach seinem Schema, das gut funktioniert, fast ungehindert vor allem in Norddeutschland morden. Erst als sich die Fälle verschwundener Knaben häufen, als kurz nacheinander zwei Kinder in Schwerin vermisst werden, beginnt man gezielt nach einem Täter zu suchen. Der Schweriner Oberstaatsanwalt Wilhelm Beusch fährt schließlich Ende Februar 1935 nach Berlin, wo er Rat und Hilfe bei dem bekannten Kriminalisten Ernst Gennat sucht. Im Zuge ihrer Zusammenarbeit kommt man dem „schrecklichsten Kindermörder der deutschen Kriminalgeschichte“ schließlich auf die Spur.

Es bleibt dem Leser überlassen, wie sehr er in die Geschichte eintaucht

Als Erstes werden Vermisstenanzeigen und ein Fahndungsaufruf mit 500 Reichsmark Belohnung in der Zeitung veröffentlicht. Außerdem werden alle Eltern direkt angesprochen: „Eltern, hütet und warnt eure Kinder!“ Das bekommt auch Adolf Seefeld mit. Er wird nervös und begeht einen Fehler, indem er ausgerechnet auf dem Land, wo jeder jeden kennt und beobachtet, untertauchen will. In einer Dorfkneipe wird er erkannt und am 3. April 1935 im Dorf Wutzetz, heute Ortsteil von Friesack im Havelland, verhaftet.

Schurich und Stricker haben das Buch so aufgebaut, dass es dem Leser überlassen bleibt, wie sehr er in die Geschichte eintauchen will, wie intensiv er sich mit dem Fall, den Schilderungen, Protokollen und Unterlagen, beschäftigen will. Nicht alles muss man lesen. Letztlich ist das Buch Teil der „Schriftenreihe Polizei, Historische Kriminalistik“ und somit vor allem an ein Fachpublikum gerichtet.

Das Buch endet mit dem Obduktionsbericht der Leiche Adolf Seefelds. Als wollten die Autoren einen gewichtigen Schlusspunkt setzen.

 

Frank-Rainer Schurich, Michael Stricker: Die Bestie aus dem Wald. Der Serienmörder Adolf Seefeld und die moderne Kriminalistik. Verlag Dr. Köster, Berlin, 2015, 395 Seiten, 24,95 Euro

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