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Für seinen ersten Spielfilm „Netto“ wurde der HFF-Student Robert Thalheim mehrfach ausgezeichnet
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Für seinen ersten Spielfilm „Netto“ wurde der HFF-Student Robert Thalheim mehrfach ausgezeichnet Von Marion Hartig Er ist eher Marke Durchschnittstyp. Dunkle Locken, Hornbrille, Hemd, Jeans. Man würde Robert Thalheim, Jahrgang 74, der sich mit dem Spielfilm „Netto“ in die deutsche Filmwelt aufgeschwungen hat, auf der Straße kaum wahrnehmen. Und auch jetzt noch läuft er unerkannt durch seine Heimatstadt Berlin, sagt der Regie-Student der Potsdamer Filmhochschule. Obwohl sein Gesicht hin und wieder in den Medien auftaucht, seit sein Film im Februar auf der Berlinale den „Dialogue en perspective 2005“ gewann. Seitdem wird „Netto“ immer wieder einmal bei einem Festival ausgezeichnet. Erst kürzlich erhielt Thalheim für seine Geschichte über den arbeitslosen Versager-Vater und seinen Streber-Sohn in Ludwigshafen den „Filmkunstpreis 2005“. Thalheim hat sein „Atelier“ in Prenzlauer Berg. In einer Erdgeschosswohnung, die er sich mit anderen Kreativen teilt. Die Wände sind kahl, der Boden mit Dielen ausgelegt. In seinem Büro zum Hinterhof stehen zwei Schreibtische. Laptop, Lexika über europäische Geschichte. Auf dem Regal eine Säule aus Glas, die Thalheim für „Netto“ vom Max Ophüls-Filmfestival aus Saarbrücken mitgebracht hat. Ein Bild von Weigel und Brecht hängt an der Wand. Wir sitzen auf abgesessenen 70er-Jahre-Sesseln um einen runden Tisch. Thalheim beginnt zu erzählen. Er spricht in durchdachten Sätzen. Kein spontanes Heraussprudeln, eher diplomatisches Abwägen. Er nimmt sich zurück, antwortet nur auf Fragen. Dabei hat er viel zu sagen. Die Idee zum Film kam ihm nachts in einem dieser Vietnam-Imbisse. Dort begegnete er einem Mann, einem Verlierer-Typ, der ihm seine Geschichte erzählte. Kein Job, einsam. Nur wegen seines Sohnes habe er sich noch nicht umgebracht. Das ging Thalheim nicht aus dem Kopf. Er hat sich den Sohn vorgestellt. Orientierungslos zuerst, weil keine Autorität ihm die Welt erklärt, ihm sagt, wo es lang geht. Dann aber stark, als einen Sohn, der seine Entscheidungen selbst trifft, treffen muss und kann. Und plötzlich stand das Grundgerüst für die Figuren von „Netto“. Den Plot hat Thalheim dann um die Schauspieler herum geschrieben: um Milan Peschel, den überdrehten Vater, Sebastian, den Einsenschreiber und die selbstbewusste Stephanie, Bastians erste große Liebe. Eigentlich war sein erster langer Spielfilm nur eine Seminararbeit des fünften Studienjahrs. Das mehr daraus wurde, hat Thalheim nie erwartet. Es sei ein Geschenk gewesen, dass er einen Professor wie Rosa von Praunheim hatte. Mit dem in aller Welt bekannten Regisseur hat seine Laufbahn als Filmer angefangen, er kam in die erste Regieklasse von Praunheim, lernte von ihm, dass es beim Filmemachen darauf ankommt, von Menschen zu erzählen, Charaktere zu zeichnen, zu berühren. Er hatte Glück, konnte mit der manchmal ziemlich „unprofessionellen Kritik“ des Dozenten umgehen. Wenn der Lehrer wieder einmal Allüren hatte oder Studenten nahe legte, doch lieber mit dem Filmemachen aufzuhören. Thalheim hat versucht, das nicht ernst zu nehmen. Er hat durchgehalten – es hat sich für ihn gelohnt. Er würde gerne eine schöne Geschichte darüber erzählen, wie er zum Film kam. Aber die gibt es nicht. Keine Super-8-Kamera, die ihm plötzlich vor die Füße fiel und zum Filmemachen aufforderte. Für ihn war jede Kunst „heilig“. Ganz zaghaft hat er sich ihr genähert. Als Schüler in der Theater-AG, später mit einem ersten Dokumentarfilm. Als er beim Tag der offenen Tür der Filmhochschule auf einen rauchenden Professoren stieß, der ihm riet, in die Welt hinaus zu gehen und etwas zu erleben, wagte Thalheim gar nicht erst, sich zu bewerben. Er tat stattdessen das, was man ihm geraten hatte. Er ging in die Welt hinaus: Zunächst leistete er in Auschwitz Zivildienst. Dann war er Entwicklungshelfer in Indonesien. Er arbeitete als Regieassistent am Berliner Ensemble und ab 1999 gab er das Kulturmagazin „Plotki“ heraus. Dann endlich hatte er genug Lebenserfahrung gesammelt, um sich endlich an der Filmhochschule zu bewerben. Und es hat geklappt. Auch sein nächster Film wird ein ernstes Thema haben. Er dreht einen Spielfilm über den Alltag in Auschwitz, wahrscheinlich seine Abschlussarbeit an der HFF. Er interessiert sich eben nicht für Beziehungskisten in der Oberschicht, wo die Probleme um die Temperatur des Swimmingpoolwassers kreisen. „Lieber Taxi fahren, als sich sein Geld mit einer Daily Soap zu verdienen.“ Gegen das Fernsehen hat er aber eigentlich nichts, nur gegen schlechte Filme. Er hat eben gewisse Ansprüche. Erst Anfang Juli unterzeichnete Thalheim die „Ludwigshafener Positionen“, mit der junge Filmemacher für „eigensinnige, unbequeme, waghalsige, ungezähmte, erschütternde, ... Filme“ kämpfen wollen – für die Kunst und wider den Kommerz. Seit „Netto“ ist Thalheim der Welt des Filmemachens näher gerückt, kann sich vorstellen, später vom Filmemachen leben zu können. „Ein Traum“, sagt der Regisseur. Jetzt kann er sich beruhigt etwas zurücklehnen in seinem grünen 70er-Jahre-Sessel.
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