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Junge Potsdamer und Berliner retten Flüchtlinge aus dem Mittelmeer: Auf eigene Faust

Eine Gruppe junger Potsdamer und Berliner rettet mit einem alten Fischtrawler Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken. 3000 Menschen konnten sie bereits retten.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Was kann man tun, um das Ertrinken Tausender Flüchtlinge im Mittelmeer zu verhindern? Auf die Straße gehen und demonstrieren? An Hilfsorganisationen spenden? Oder einfach selbst hinfahren und die Menschen von Schlauchbooten und rostigen Kuttern ziehen? Eine Gruppe junger Potsdamer und Berliner hat sich für Letzteres entschieden – und in wenigen Wochen über 3000 Menschen gerettet. „Jugend Rettet“ haben sie sich genannt, gerade läuft die vierte Mission auf hoher See.

Einer der „Jugend Rettet“-Mitgründer ist Alexander Hof. Der Potsdamer ist Student, wie die meisten seiner Mitstreiter. Und allesamt „Landratten“, wie der 24-Jährige sagt. Trotzdem setzten sie sich im Herbst vergangenen Jahres in den Kopf, nicht weiter zuzusehen, sondern selbst aktiv zu werden. Schnell war klar, dass als erstes ein passendes Schiff gefunden und gekauft werden musste. Monatelang telefonierte die Gruppe herum, traf sich mit erfahrenen Hilfsorganisationen, sammelte Spenden ein, sprach mit Greenpeace und Sea Watch, der Seenotrettungsinitiative aus Brandenburg. Schließlich fanden sie einen ausrangierten holländischen Fischtrawler, der zum Verkauf stand – und einen Spender aus Berlin, der bereit war, die Anschaffungskosten von 130 000 Euro zu übernehmen.

Die „Landratten“ von „Jugend Rettet“ packten selbst mit an

Das Schiff wurde nach Emden überführt und von den „Jugend Rettet“-Mitgliedern zur Flüchtlingsrettung vorbereitet. Bei den meisten Arbeiten halfen Experten, die die Gruppe für ihr Projekt begeistern konnte. So wurde unter anderem im Inneren eine Krankenstation eingebaut und die Höhe der Bordwand verringert, um die Flüchtlinge besser auf das Schiff holen zu können. Auch ein neues Funk- und ein Radargerät bekam der Trawler, außerdem Rettungsboote und -westen. Die „Landratten“ von „Jugend Rettet“ packten selbst mit an, Alexander Hof half zum Beispiel beim Streichen, wie er erzählt. Am 24. Juni wurde das Schiff auf den Namen Iuventa getauft.

Parallel liefen die Vorbereitungen für den ersten Einsatz – viel Papierkram war zu erledigen. So fährt die Iuventa zwar unter niederländischer Flagge, gleichzeitig musste aber ein Tochterverein in Italien gegründet werden, weil das Schiff von Malta aus in See sticht und dort ein Liegeplatz im Hafen angemietet werden musste. Auch im Maritime Rescue Coordination Centre, der italienischen Leitstelle zur Seenotrettung in Rom, sprach die Gruppe vor, um ihre Einsätze abzusprechen.

Dann ging es daran, eine Crew für die erste Mission zusammenzustellen. Einige hatten sich schon während der Vorbereitung angeboten, andere wurden über die Homepage der Initiative gefunden. „Wir versuchen, die Bewerber für die Missionen sehr sorgfältig auszuwählen und eine möglichst harmonische Gruppe zusammenzustellen“, sagt Hof. Schließlich ist die Crew bis zu drei Wochen auf engstem Raum zusammen, unter extremen Bedingungen und auf eigenes Risiko. Übernommen werden von „Jugend Rettet“ nur die Reisekosten und die Verpflegung an Bord, ebenso das Sicherheitstraining in Malta kurz vor dem Start. Ein Gehalt kann der spendenfinanzierte Verein nicht zahlen.

Mit Drohne die Flüchtlingsboote besser im Meer orten

Am schwersten zu finden seien Kapitäne, Maschinisten, Steuermänner, Sanitäter und Ärzte, sagt Hof. Nur den Job des Deckhands, eine Art Hausmeister an Bord, kann theoretisch jeder machen. Doch Erfahrung auf See ist auch hier von Vorteil. Das ist auch der Grund, warum Hof selbst noch nie auf See dabei war. „Ich werde hier an Land gebraucht“, sagt er. Der Philosophie- und Latinistik-Student ist Technischer Leiter bei „Jugend Rettet“, er kümmert sich um die Homepage, den Auftritt in den Sozialen Medien, die Kommunikation innerhalb der Gruppe und vieles mehr. Zur Zeit organisiert er eine Drohne, um die Flüchtlingsboote besser im Meer orten zu können.

Das geschieht derzeit noch ganz klassisch mit einem Fernglas vom Ausguck aus – die meisten Flüchtlingsboote sind für den Radar der Iuventa zu klein. Wird ein solches Boot gesichtet, wird es angesteuert und mit Schnellschlauchbooten angefahren – immer von zwei Seiten, um zu vermeiden, dass alle Menschen in Richtung der Retter stürzen und das Boot kentert. Dann werden die Flüchtlinge mit Rettungswesten versorgt und auf die Iuventa gebracht. „Die Menschen sind meist in einem schlimmen Zustand“, berichtet Hof. Sie sind geschwächt, dehydriert und haben nicht selten Quetschungen und Knochenbrüche, weil es so eng ist. Oft sind auch Schwangere oder Frauen mit Kleinstkindern an Bord. „Auch zwei Tote mussten wir schon bergen.“

„Wir wollen die Boote finden, bevor sie kentern"

An Bord der Iuventa werden die Menschen medizinisch versorgt und mit neuen Kleidern ausgestattet, denn oft saßen sie tagelang in einer Mischung aus Salzwasser und Benzin. Die Boote, auf denen sie unterwegs waren, werden vor Ort versenkt – um zu verhindern, dass Schlepper sie noch einmal verwenden. Dann bringt die Crew die Menschen auf größere Rettungs- oder Militärschiffe, die zur Aufnahme von Schiffsbrüchigen schließlich verpflichtet sind. Dann macht sich die Iuventa-Crew erneut auf die Suche entlang der lebensgefährlichen Mittelmeerroute.

„Wir wollen die Boote finden, bevor sie kentern“, sagt Hof. Aus seiner Sicht wäre das eigentlich die Aufgabe der staatlichen Akteure, doch das Mandat der EU besage eben nicht, Schiffsbrüchige zu retten, sondern Schlepperbanden zu zerschlagen. „Angeblich ist es ja nicht möglich, eine sichere Einreise zu gewährleisten“, sagt Hof. „Aber sogar wir als junge Menschen können das auf eigene Faust schaffen.“ Ans Aufhören denken die jungen Menschen nicht – obwohl zum Beispiel bei Alexander Hof das Studium spürbar leidet. Die nächste Mission ist schon in Planung, Ende Oktober soll es losgehen.

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