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Volles Haus zur Hausmusik. Rund 30 Nachbarn und Neugierige kamen am Samstag in die Wohnung der Ex-Waschhauschefin Katja Dietrich-Kröck (sitzend, M.), um „Sanssouci im Wohnzimmer“ zu erleben. Das Projekt hat sich Flötist Hannes Immelmann (l.) ausgedacht, begleitet wurde er von Brigitte Breitkreutz an der Gitarre.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Auf eine Sonate zu den Nachbarn

Hausmusik wie zu Friedrichs Zeiten – Kulturland Brandenburg hat es mit Erfolg ausprobiert

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Es hat durchaus etwas Voyeuristisches, eine fremde Wohnung zu betreten. Das ganze Projekt „Sanssouci im Wohnzimmer“ erinnert in seiner Machart außerdem an Geo-Coaching, nur dass man hier nicht nach einem Überraschungs-Ei irgendwo im Großstadtgestrüpp fahndet. Wer hier Straße und Hausummer gefunden, vielleicht eine paar Treppen gestiegen ist, wird mit einem musikalischen Schatz belohnt. Die Konzertreihe war eine Idee von Hannes Immelmann, realisiert durch das Kulturland Brandenburg. Im Vorfeld des Friedrich-Geburtstags soll auf diese Weise Musik zu den Menschen gebracht werden und an die früher beliebte Praxis der Hausmusik erinnern. Ein Dutzend Konzerte fand in den letzten zwei Wochen statt, viele hatten sich als Gastgeber beworben.

Auch Katja Dietrich-Kröck und ihr Mann öffneten am Samstag ihre Wohnungstür. „Ich las davon in der Zeitung und wusste, da will ich mitmachen“, sagt sie, während ihr Mann Sven noch schnell versucht, die Klingel abzustellen und die ersten Gäste eintrudeln. In der Küche hat Dietrich-Kröck eben noch Gläser aufgebaut, „einige davon bei den Nachbarn ausgeborgt“, man wisse ja nie genau, wer und wie viele kommen. „Wir hatten Konzerte mit knapp zehn Besuchern und welche mit über 20, und alle waren sie schön“, sagt Brigitte Breitkreutz, die an diesem Abend Immelmann an seiner Traversflöte auf der Gitarre begleitet. Beide machen seit Jahren gemeinsam Musik, oft in kleinen Kreisen, Hausmusik eben, wie auch Friedrich II. sie gern hatte. „Der schrieb seine Stücke übrigens ausschließlich für den Eigenbedarf, zur Erbauung im kleinen Kreis. Für eine Veröffentlichung waren die nie gedacht“, erklärt Immelmann später in den Pausen zwischen den Stücken. Da drängeln sich mittlerweile über 30 Leute zwischen Wohnzimmer und Küche, sogar in den offenen Verbindungstüren zu Schlaf- und Kinderzimmer sitzen Gäste auf Pappkarton-Hockern. Drei Tage haben sie aufgeräumt, sagt Dietrich-Kröck und lacht. „Es gibt hier ein Zimmer, da dürfen Sie heute auf keinen Fall reinschauen!“

Natürlich sei es komisch, das Ehebett zur Garderobe umzufunktionieren – aber die meisten hier kenne sie, und wenn nicht, ist es auch nicht so schlimm. Im Wohnzimmer sind die Gardinen verschwunden, wegen der Akustik, die Breitkreutz nach dem Konzert lobt: „Die alten Dielen hier – das klingt doch gut.“

Die alten Dielen knarren freilich auch mal, wenn der jüngste Besucher auf Papas Arm im Flur spazieren getragen wird. Fünf Monate ist Paul alt, schon im Schlafanzug, und wird von seiner ganzen Familie, darunter die beiden großen Schwestern, begleitet. Die Frage, wann sie denn das letzte Mal in einem Konzert war, kann Pauls Mutter, Annette Mrosk, nicht beantworten. „Ist schon eine Ewigkeit her“, sagt sie. Und Kröcks freuen sich, ihre gerade eingezogenen Nachbarn auf diese Weise kennenlernen zu können. Ja, die Nachbarn fanden das alle gut, mal so ein Konzert ins Haus zu bekommen. „Vielen Dank an alle, die heute noch schnell die Treppe gewischt haben.“

Die Musiker hingegen müssen sich jedesmal neu auf die Situation vor Ort einstellen. Ernsthafte Probleme habe es nie gegeben. Notfalls wird improvisiert: Als die Beine vom Spinett verschwunden waren, holte der Gastgeber einen kleinen Tisch aus dem Keller, wurde das Instrument darauf aufgebockt. „Die Höhe stimmte nicht ganz, aber wir konnten spielen“, erzählt Immelmann.

Am Samstag bei Familie Dietrich- Kröck gibt’s nicht nur Musik auf die Ohren, sondern auch, wohl dosiert, Wissenswertes über Werke, Autoren und Musikgeschichte. Gespielt wird unter anderem eine Sonate vom Alten Fritz, etwas Italienisches von Vivaldi und zwei Stücke, eine Milonga und „Cafe 1930“, vom Tango-Spezialisten Astor Piazzolla.

Paul wird müde und seine Schwester hat sich inzwischen etwas Leckeres aus der Küche geholt; man versorgt sich mit Getränken. Einmal, erinnert sich Breitkreutz, haben die Gastgeber anschließend selbst Hausmusik gemacht, haben Kinder und Vater auf Flöte und Gitarre musiziert. „Die Leute sind so interessiert und dankbar, dass wir kommen“, das habe sie überrascht. „Vielleicht können wir diese Art von moderner Salonkultur wieder etwas beleben“, meint die Gastgeberin zum Schluss, das müsse doch auch ohne großbürgerlichen Rahmen funktionieren. Da hat sich die Party bereits in die Küche verlagert, es gibt noch leckere Kleinigkeiten und Wein. „Mal sehen, wie lang der Abend noch wird“, sagt Dietrich- Kröck und mischt sich unter ihre Gäste.

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