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Meat and Greet. Die Teilnehmer der Weber-Grillakademie in Potsdam sind hochkonzentriert, als das teure Steak auf den Rost kommt. Experte und Grillmeister Thomas Streit-Rodriguez (r.) zeigt, wo genau es platziert werden soll. Auch Pizza kann man im Grill backen und Fischspieße sowieso.

© Sebastian Gabsch

Grill-Kurse in Potsdam: Auf Temperaturfühlung

Die Deutschen grillen gerne, aber grillen sie auch gut? In Potsdam gibt es Kurse für alle, die mehr wollen als Wurst.

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Potsdam - Das Paar aus Bielefeld ist pünktlich. Sie sind gerade nach Potsdam gezogen, alles ist bestens, nur ein Grill muss noch her. Weil sie noch nie einen hatten, wollen sie sich heute informieren – bei einem Seminar. Das gibt es bei „Grill & Genuss“, dem neuen Potsdamer „Weber World Store“, einem Fachgeschäft für alles, was man zum Kochen über Flammen oder glühenden Kohlen braucht. Hier gibt es Hardware für alle Preisklassen und Vorlieben und die Schulungen gleich dazu. Genau das Richtige für die Neupotsdamer. Lange bevor es an diesem Freitagabend im März ans Kochen geht, umkreisen sie bereits ehrfurchtsvoll die ausgestellten Geräte.

"Deutschland ist zwar Grillnation, aber das heißt nicht, dass wir das auch können"

Insgesamt sind es etwa 20 Gäste, die gleich zusammen schnippeln, grillen und essen werden. Alles indoor – unter einer riesigen, professionellen, aber erstaunlich leisen Rauchabzugshaube. Schließlich entsteht beim Grillen mit Kohle giftiges Kohlenmonoxid. Die Leute vom Bauamt hätten bei ihrem ersten Besuch nicht schlecht gestaunt, sagt Thomas Streit-Rodriguez. Zusammen mit seiner Frau Renata eröffnete er im vergangenen Herbst den Laden, etwa 300 Quadratmeter in einer Industrie-Remise im Luisenforum. Er kommt aus der Systemgastronomie, sie ist studierte Kunsthistorikerin mit Kellnererfahrung. Im Heimatland ihrer Eltern, in Brasilien, wird immer und überall gegrillt, sagt er, das hat sie inspiriert, in Deutschland ein Geschäft mit Grillakademie aufzubauen. Denn: „Deutschland ist zwar eine der größten Grillnationen,“ sagt Streit-Rodriguez. „Das heißt aber nicht, dass wir es auch können.“

Thomas Streit-Rodriguez hat selber ein Seminar besucht und ist zertifizierter Weber-Grillmeister. Im vergangenen Oktober fanden die ersten Abendkurse in Potsdam statt. Es kommen Anfänger und Fortgeschrittene, Singles, Paare oder Nachbarn. Er hat schon Betriebsfeiern ausgerichtet und Kindergeburtstage.

Marcus aus Falkensee ist dabei, weil die Resonanz auf sein Grillen nachgelassen habe

Am diesem Abend sind die Männer in der Überzahl. Und manche nicht das erste Mal dabei. Wie Markus aus Falkensee, der jetzt seinen Nachbarn Andreas mitgebracht hat. „Ich bin gespannt“, sagt der. Er sei natürlich kein Anfänger. Er sucht nur neue Ideen. Denn: „Die Resonanz zu Hause auf mein Grillen hin hat ein bisschen nachgelassen.“

Für gut 100 Euro bekommt er etwa fünf Stunden Spaß und Arbeit, er darf kochen und essen, sogar die Getränke sind weitestgehend inklusive. Dieses Mal ist ein Brauer, Frank Heymann aus Brandenburg, dabei und stellt neue Biersorten vor. Zur Begrüßung verteilt er ein leichtes Radler mit Holundergeschmack.

Anschließend gibt es vom Seminarleiter ordentliche Schürzen und scharfe Messer für alle, spätestens jetzt duzt man sich, dann werden die Arbeitsgruppen für die verschiedenen Gänge eingeteilt. „Traut euch, hier könnt ihr alles probieren, was ihr zu Hause noch nie gemacht habt“, sagt der Chef. Dann werden ein paar wichtige technische Fragen geklärt: Wozu ist der Deckel da, warum gibt es kein Sichtfenster, wie messe ich die Temperatur? Beim Gasgrill wird die Flasche gewechselt, beim Kohlegrill werden der Vorglühkorb gefüllt und die Kirschholzspäne zum Räuchern der Bratwürste in Wasser eingeweicht.

Pizza, Burger, Apfelkuchen  - alles vom Grill

Die Diskussion, ob Kohle, Gas oder Elektro, die nachbarschaftsfreundliche Balkonvariante, wird abgekürzt. Jeder Gast hat hier ohnehin seine Vorliebe. Der erste Gang, eine Pizza, gelingt über Gas und auf einem Pizzastein. Sie wird dankbar von der Schnippelcrew am Arbeitstisch entgegengenommen. Hier ist schon ein Mann dabei, die Burger vorzubereiten, würzen, mischen und formen, auch dafür gibt es kleines Gimmick, der Burgermann ist begeistert. Ihm gegenüber bastelt jemand Spieße mit Kabeljau und Chorizo zusammen, die später geschmacklich alle am meisten überraschen werden. Seine Nachbarn bereiten Risotto vor und schnippeln Kartoffeln für Fritten. Das Paar aus Bielefeld ist für den Nachtisch eingeteilt. Der Mann schaut etwas enttäuscht, schält aber tapfer Äpfel für eine Tarte Tatin. Was er noch nicht weiß: Der süße Nachtisch, selbstverständlich auch vom Grill, ist jedes Mal der Knaller, sagt Streit-Rodriguez später, als er den warmen, saftigen Kuchen mit Eis zu dekorativen Portionen zusammenbaut.

19 Uhr, Königsdisziplin: Zwei große Bio-Flank-Steaks werden gezeigt und der Experte erklärt, von welcher Stelle des Rinds sie stammen. Mit einer Zange – bitte ohne scharfen Rand, der verletzt das zarte Fleisch – werden sie von Kai auf den Rost gelegt. Der hat schon den ganzen Abend darauf gewartet. Drum herum steht die ganze Meute und passt auf, dass nichts schief geht. Bei einem Kilopreis von 38 Euro wäre das unangenehm. Deshalb ist der Mann am Temperaturfühler der Zweitwichtigste in diesen Minuten. Von einem Tablet-PC, über ein feuerfestes Kabel mit dem Fleisch verbunden, liest er die Kerntemperatur ab. 52 Grad, das ist perfekt und leicht zu merken: 1952 wurde nämlich der erste Webergrill erfunden. Wer das bei der mündlichen Schnellprüfung in drei Stunden noch weiß, bekommt zum Zertifikat noch einen Tüte Gummibärchen.

Die letzten zwei Stunden werden stilvoll, alles ist so getaktet, dass man an einer hübsch gedeckten Tafel gemeinsam isst, Spieße und Risotto, Burger und Fritten aus einem mittels Elektromotor rotierenden Drahtkorb, noch ein sehr beeindruckendes Zubehör. Manch einer dreht anschließend noch eine sehnsuchtsvolle Runde durch den Laden. Und die Neupotsdamer aus Bielefeld haben sich schon fast auf ihren Wunschgrill geeinigt.

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HINTERGRUND: Wo man in Potsdam grillen darf

Auch wenn es noch so schön wäre: In Potsdam ist das Grillen auf öffentlichen Flächen im gesamten Stadtraum verboten. „Grundlage dafür ist § 7 des Landesimmissionsschutzgesetzes, wonach offenes Feuer auf öffentlichen Flächen untersagt ist“, heißt es von der Stadtverwaltung. Ob man alternativ einen Elektrogrill benutzen darf, wird hier nicht explizit gesagt. Das dürfte aber ohnehin schwierig zu machen sein. Es gibt zwar auch kleine Picknickgrills, die wenig Rauch erzeugen, außen nicht heiß werden und keine Brandlöcher im Rasen hinterlassen – aber auch die sind grundsätzlich in Potsdam verboten. Die gute Nachricht: Im Volkspark darf ganz offiziell gegrillt werden. Im Parkplan sind dafür zwei Grillplätze ausgeschildert: nahe dem Eingang Viereckremise und am Streetballfeld. Auch öffentliche Toiletten befinden sich dort. Die Areale sind mit Grills ausgestattet, alles andere muss mitgebracht und der Müll selbstverständlich entsorgt werden. Beim Besucherservice am Haupteingang kann man sich ausleihen, was für das perfekte Grillevent noch fehlt: Picknickdecken, Bollerwagen, Roller und Laufräder, Tischtennisschläger, Disc-Golf-Scheiben und Volleybälle. In den Schlösserparks und auf der Freundschaftsinsel sind offene Feuerstellen leider auch verboten. Auf der Insel darf man immerhin picknicken, das Inselcafé bietet auch Essen vom Grill an. Wer illegal Feuer macht, muss laut Bußgeldkatalog mit Strafen von 25 bis 2500 Euro rechnen.

Wie oft man in Deutschland im eigenen Garten grillen darf, zu welchen Zeiten und in welchen Abständen zum Nachbargrundstück, und ob und wie oft man auf dem Balkon zündeln darf, darüber gibt es unterschiedliche Rechtsprechung. In manchen Städten darf man zweimal im Monat, anderswo sechsmal im Jahr. Wer mit den Nachbarn gemeinsam grillt, ist vermutlich immer auf der sicheren Seite. Potsdams schönster Grillort ist vermutlich der Dampfer Gustav von der Weissen Flotte: das einzige Schiff der Flotte, auf dem es einen Holzkohlegrill gibt. Steffi Pyanoe

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