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Falsche Vorstellungen. Carpentier will Klischees über HIV abbauen.

© M. Thomas

Landeshauptstadt: Aufklärung mit Akzent

Guillaume Carpentier arbeitet seit einigen Monaten für die Aids-Hilfe Potsdam und berät dort Schwule. Wie in seiner französischen Heimat gilt es auch in der Brandenburger Landeshauptstadt noch viele Klischees abzubauen

Von Katharina Wiechers

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Sein Deutsch ist nahezu perfekt, wie beiläufig kommen Guillaume Carpentier Zungenbrecher-Ausdrücke wie „Aufklärungsarbeit“, „Hauptübertragungsweg“ oder „sexuell übertragbare Krankheiten“ über die Lippen. Und doch ist seine Herkunft unüberhörbar. Seit einigen Monaten verstärkt der 27-jährige Franzose das Team der Aids-Hilfe Potsdam – er soll sich vor allem um die Beratung schwuler Männer kümmern.

Etwa 4000 Schwule gibt es in Potsdam, wie Carpentier schätzt. Dennoch ist die Szene überschaubar, vor allem wegen der Nähe zum pulsierenden Berlin. Das „La Leander“ in der Benkertstraße ist die einzige Schwulenkneipe, zudem gibt es im Club Charlotte Queer-Partys. Das Gros an Veranstaltungen findet also in Berlin statt. Doch über Fragen zu Aids oder Sexualität wollen sich die Potsdamer Schwulen in ihrer Heimatstadt informieren, meint Carpentier. Jeden Mittwoch von 16 bis 20 Uhr hat er in der Beratungsstelle in der Kastanienallee Sprechstunde, außerdem kann man ihn telefonisch und per E-Mail erreichen.

Meistens rufen Männer an, die Angst haben, sich mit Aids angesteckt zu haben – obwohl sie ein Kondom benutzt hatten. „Schwuler Sex gilt immer noch als Risiko an sich“, sagt Carpentier. Vor allem Männer, die sich noch nicht als homosexuell geoutet haben, verfielen schnell in Panik. „Dabei ist das Risiko meistens sehr, sehr gering“, sagt Carpentier. „Schwul zu sein an sich ist ja noch kein Risiko. Ungeschützter Sex – ja. Aber egal, ob bei Männern oder Frauen“. Für Carpentier sind diese Anfragen ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er und seine Mitstreiter noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten haben. Ein ganzer Stapel Broschüren liegt vor ihm auf dem Tisch: Informationen über HIV oder Tripper, Werbung für den kostenlosen Aidstest in der Beratungsstelle, Flyer gegen Homophobie. Ausgestattet mit diesem Material ist er viel unterwegs, verteilt Kondome und versucht, mit möglichst vielen Menschen in Kontakt zu kommen.

Teil seiner Mission ist es auch, den Menschen die Angst vor HIV zu nehmen. Die Krankheit sei mittlerweile gut behandelbar, in Deutschland beziehungsweise der westlichen Welt zur „chronischen Krankheit“ geworden, erklärt Carpentier. Nahezu unverändert seien hingegen die Klischees über HIV, was wiederum zu Diskriminierung führe – in westlichen Ländern die „schlimmste Nebenwirkung von HIV."

Auch in Schulen geht Carpentier und leistet Präventionsarbeit. Große Augen gibt es immer, wenn er den Kindern folgendes Rechenbeispiel gibt: Zehn Prozent der Bevölkerung sind homosexuell. Unter 30 Schülern sind also im Schnitt drei Jugendliche schwul, lesbisch oder bisexuell.

Ob die Menschen in Potsdam beziehungsweise Deutschland mehr oder weniger aufgeklärt sind als in Frankreich? Carpentier muss kurz überlegen. Eigentlich glaubt er nicht, dass es grundsätzliche Unterschiede gibt. „Aber eine Broschüre wie diese wäre in Frankreich nicht möglich“, sagt er und deutet auf ein Faltblatt mit dem Titel „Besser blasen. Tipps und Infos für viel Spaß und wenig Risiko“. Darauf sind zwei Männer im Auto in eindeutiger Pose abgebildet. „Das wäre zu hart, zu provozierend“, sagt er. Sex sei immer noch ein „bisschen tabu“, vor allem Schwulensex. „Die Franzosen sind ein bisschen prüde“, sagt er und lacht. Carpentier weiß, wovon er spricht. Er selbst ist in einer kleinen französischen Stadt aufgewachsen. Als junger schwuler Mann sei es dort nicht leicht gewesen, erinnert er sich. Nach dem Studium arbeitete er im kulturellen Bereich und landete schließlich in Berlin. Dort wohnt er auch heute noch, die Miete in Potsdam könne er sich nicht leisten, sagt er. Eigentlich arbeitet er nur 20 Stunden bei der Aids-Hilfe, aber die Realität sieht anders aus. Er macht viel nebenbei, schließlich will er die Potsdamer Szene kennenlernen. „Ich wohne in Berlin, aber ich lebe in Potsdam“, sagt Carpentier – der übrigens nicht mit dem Moderator der DDR-Jugendsendung Elf 99 Jan Carpentier verwandt ist. Probleme mit dem hiesigen Dialekt habe er kaum noch. „Ich wundere mich eher, wie die Leute mit meinem Dialekt klarkommen“, sagt er lachend. „Aber ich habe das Glück, Französisch zu sprechen. Der Akzent ist bei den meisten Deutschen beliebt. Die Leute finden es angenehm, von einem Franzosen beraten zu werden.“

Künftig will Carpentier das nicht mehr nur am Telefon oder bei den regelmäßigen Aidshilfe-Stammtischen tun, sondern auch dort, wo sich Schwule treffen. Derzeit sucht er noch Ehrenamtliche, die mit ihm an einschlägigen Treffpunkten wie etwa Autobahnparkplätzen einen Stand betreuen und über Schutz vor HIV aufklären. Einen Flyer hat er schon gestaltet: „Be my Bodyguard! Ich schieße nur safe“ steht darauf, wobei das „O“ von einem Kondom ausgefüllt wird. „Es ist alles vorbereitet. Was mir noch fehlt, sind Teilnehmer.“ 

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