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Landeshauptstadt: Aufräumen mit Bomberjacken-Irrtum

80 Teilnehmer bei der Jugendkonferenz gegen Rechtsextremismus im T-Werk

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Berliner Vorstadt – Schon die Bundeszahlen erschrecken: 37 Prozent von knapp 5000 Befragten in Deutschland sind der Meinung, dass Ausländer nur nach Deutschland kommen, „um unseren Sozialstaat auszunutzen“, fast 18 Prozent glauben, der „Einfluss der Juden“ sei „zu groß“ und jeder vierte Befragte wünscht sich „eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. Auf der „Jugendkonferenz gegen Rechtsextremismus“ am Samstag im T-Werk rechnete Oliver Decker, Co-Autor einer Studie über rechtsextreme Einstellungen in Deutschland aus dem Jahr 2006, aber auch die Brandenburg-Zahlen vor: Mehr als die Hälfte der Befragten – 55,6 Prozent – hält demnach Ausländer für Sozialschmarotzer und die „starke Partei“ wünschen sich ganze 33,8 Prozent, sagte Decker. Diese Zahlen seien aber – anders als auf Bundesebene – nicht repräsentativ, räumte er ein.

80 Jugendliche aus ganz Brandenburg waren zu der Veranstaltung in die Schiffbauergasse gekommen, schätzte Robert Sprinzl, Mitorganisator und Bildungsreferent bei den Falken, der Sozialistischen Jugend Deutschlands. Die Falken hatten gemeinsam mit der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung zu dem Treffen unter dem Motto „take the power back!“ eingeladen. Anlass für die Konferenz war „die Normalität“, erklärte Andy Kleinert, Jugendbildungsreferent der Böll-Stiftung. Er stelle bei Jugendlichen oft Angst und Unsicherheit im Umgang mit Rechtsextremismus fest. Ziel sei es, gemeinsam Strategien gegen Rechts zu überlegen. „Wir wollen auch mit dem Irrtum aufräumen, dass Rechtsextreme sich im Erscheinen immer durch Bomberjacken und Springerstiefel auszeichnen“, ergänzt Sprinzl.

Sicheres Erkennungsmerkmal einer rechtsextremen Einstellung sind stattdessen „Ungleichwertigkeitsvorstellungen“, wie Oliver Decker bei der Podiumsdiskussion am Vormittag erklärte. Das äußere sich zum Beispiel in antisemitischen, ausländerfeindlichen und sozialdarwinistischen Ansichten, in der Befürwortung von diktatorischen Regierungsformen und Nationalismus oder in der Verharmlosung des Nazi-Regimes. Meinungen dieser Art teilen auch Menschen, die sich selbst nicht als „rechtsextrem“ begreifen, gab Decker zu bedenken.

In sieben Workshops setzten sich die Jugendlichen dann am Nachmittag unter anderem mit den ausländerfeindlichen Pogromen von Rostock-Lichtenhagen 1992 auseinander, sprachen über die Geschichte der eigenen Familien zur Nazi-Zeit oder diskutierten „Gegenstrategien im kommunalen Raum“.

„Nicht so viel Neues“ kam dabei für Hannes heraus: Der 20-jährige Azubi, der sich als „Anarchist“ versteht und bereits Aktionen und Konzerte gegen Rechts organisiert hat, war aus Südbrandenburg angereist. Allein wegen des Erfahrungsaustauschs mit Jugendlichen aus anderen Regionen habe sich die Konferenz trotzdem „völlig gelohnt“. Auch die 22-jährige Julia aus Potsdam zog ein positives Fazit: Die Studentin, die nicht politisch aktiv ist, war gekommen, weil sie es bei der Betreuung von Jugendlichen mit einem Jungen „aus der rechten Ecke“ zu tun bekommen hatte, erzählt sie. Beim Workshop am Samstag habe sie ihre Herangehensweise überdenken können: So werde sie sich in Zukunft nicht mehr auf geschichtliche Diskussionen einlassen und den Jungen eher „aus der Gruppe heraus“ kritisieren, sagte sie.

Die Rechtsextremismus-Studie von Oliver Decker im Internet unter: www.fes.de/rechtsextremismus/inhalt/studie.htm

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