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Hitzewallungen. Das abtauende Eis, das sich von Grönlands Festland in den Ozean ergießt, lässt den Meeresspiegel weltweit ansteigen.

© Maarten van Rouveroy/dpa

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Potsdamer Geoforscher haben herausgefunden, warum das Grönlandeis auch von unten schmilzt

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Wissenschaftler des Potsdamer GeoForschungsZentrums (GFZ) haben eine überraschende Entdeckung gemacht. Sie konnten anhand einer Computersimulation zeigen, warum das mächtige Eisschild in Grönland nicht nur an seiner Oberfläche von der Sonne angeschmolzen wird, sondern auch tief unten antaut. Nach Ergebnissen ihrer aktuell in „Nature Geosciences“ veröffentlichten Studie ist es Hitze tief aus dem Erdinneren, die den Eispanzer von unten mürbe macht. Das Eis wird dadurch so instabil, dass mächtige Eisströme entstehen und riesige Eisberge in den Atlantischen Ozean abdriften.

Das grönländische Eisschild schmilzt an der Oberfläche durch die steigende globale Temperatur. Doch warum auch am Fuße des bis zu drei Kilometer dicken Eispanzers ein Abschmelzen stattfindet, ist bislang nicht genau geklärt. „Die Prozesse in der Tiefe seien im Gegensatz zu denen an der Oberfläche nur sehr schwer zu verstehen“, sagt Irina Roghozina vom GFZ. Das 2500 Kilometer lange und bis zu 1100 Kilometer breite Eisschild hat eine durchschnittliche Dicke von rund 1,5 Kilometern. Aktuell schmilzt es rapide, es verliert jährlich rund 227 Gigatonnen an Eis und trägt damit pro Jahr rund 0,7 Millimeter zum Anstieg des Meeresspiegels bei, der insgesamt bei rund drei Millimetern pro Jahr liegt.

Die GFZ-Wissenschaftler Alexey Petrunin und Irina Rogozhina konnten durch die Koppelung eines Eis-Klima-Modells mit einem thermomechanischen Modell nachweisen, dass das Eisschild durch einen hohen Wärmefluss aus dem Erdmantel in die Lithosphäre - die obere Gesteinshülle der Erde - von unten angeschmolzen wird. „Wir haben große Gebiete in Grönland entdeckt, in denen das Eis am Boden schmilzt“, berichtet Irina Rogozhina.

Der erhöhte Wärmefluss aus dem Erdmantel geht auf eine außergewöhnlich dünne Lithosphäre in mehreren Regionen Grönlands zurück. „Wir finden Bereiche, in denen das Eis an der Basis schmilzt direkt neben anderen Gebieten, wo die Eisbasis extrem kalt ist“, berichtet Rogozhina. Die grönländische Lithosphäre ist zwischen 2,8 und 1,7 Milliarden Jahre alt. Aufgrund ihres hohen Alters müsste sie auch eine relativ große Dicke haben. Doch diese oberste Erdschicht ist unter Zentral-Grönland gerade mal 70 bis 80 Kilometer stark, was stellenweise nur einem Viertel der üblichen Stärke entspricht. Für dieses unerwartete Ergebnis hat Irina Rogozhina eine Erklärung. Aufgrund der Kontinentaldrift lag der heute unter dem stark vulkanischen Island liegende Mantel-Plume – eine Art Trog mit extrem heißem geschmolzenen Gestein aus dem erdinneren – vor mehreren Millionen Jahren unter dem heutigen Grönland. Diese Hitzefackel aus der Tiefe – Geologen sprechen von einem Hot-Spot – hat damals wie ein Schneidbrenner die Lithosphäre unter Grönland von Innen angeschmolzen und den Erdmantel dort sehr dünn gemacht. An diesen Stellen taut heute die geothermische Heizung unseres Planeten das mächtige Eisschild von innen an.

Dadurch kommt es zu großen Veränderungen. Weil das Eis am Boden instabil wird, beginnt das ganze Eisschild in Richtung Küste abzurutschen. Eisberge rutschen in den Ozean, und sind damit unaufhaltsam dem Abtauen ausgeliefert – wie ein Eiswürfel in einem warmen Getränk. Das Eis werde in der Zukunft noch schneller abdriften. „Und es hat bereits damit begonnen.“ Bisher habe niemand den riesigen Eisstrom, der in Grönland entstanden ist, erklären können. „Wir konnten nun zeigen, dass starke Erdwärme an bestimmten Stellen die Ursache dafür ist“, so Rogozhina. Die ausgemachten Gebiete mit abtauendem Eisfundament sind größer als erwartet. Die Ergebnisse sind für die Wissenschaft völlig neu. Als die Potsdamer Forscher mit der Studie begonnen hatten, wusste noch niemand, in welchen Regionen das Tiefeneis taut.

Klimaforscher müssen diese neuen Erkenntnisse zum Wärmefluss aus der Erde nun in ihre Modelle miteinbeziehen, so die Forscher. Denn niemand hatte bislang entsprechende Daten. „Das war die größte Leerstelle im Wissen um das Eisschild“, so Rogozhina. „Unsere Studie hilft nun zu verstehen, was mit dem Eisschild momentan passiert.“ Die aktuellen Ergebnisse würden deutlich machen, dass das aktuelle Klima auch durch Prozesse beeinflusst wird, die weit in die Erdgeschichte zurückreichen. „Die Temperatur an der Basis des Eises und damit die gegenwärtige Dynamik des grönländischen Eisschildes ist Resultat der Wechselwirkung zwischen dem Wärmefluss aus dem Erdinneren und der Temperaturänderungen, die mit den Eiszeit-Zyklen einhergehen“, so Rogozhina.

Das Abtauen an der Eisoberfläche wird als direkte Reaktion auf derzeitige Klimaveränderungen verstanden. Dabei geht es um rund 40 Prozent des Eisverlustes, 60 Prozent werden durch die Entstehung von Eisbergen verursacht. Was unter anderem auch aufgrund des Abschmelzens des Eisfundamentes durch den Wärmefluss aus dem Erdmantel in Gang gebracht wird. In seinen Auswirkungen sei dies nicht zu unterschätzen. „Der innere Zusammenhalt des Eisschildes wird dadurch angegriffen und das Eis rutscht immer schneller in den Ozean“, erklärt Rogozhina.

Der menschgemachte Klimawandel und Veränderungen durch die Erdgeschichte kommen beim Abtauen des Grönland-Eisschildes also zusammen. Aufhalten lässt sich die Schmelze am Fundament des Eises nicht. Denn das Abtauen des Eispanzers aus der letzten Eiszeit ist ein Prozess, der ist seit 11000 Jahren im Gange ist. Auch der Wärmefluss aus dem Erdinneren ist eine unabänderliche Konstante. Dass gerade unter Grönland mit seinen riesigen in Eis gebundenen Wassermengen die Erdoberfläche extrem dünn ist, ist problematisch: Der Anstieg des Meeresspiegels ist somit auch ohne Treibhauseffekt vorprogrammiert.

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