ZUR PERSON: Aufstieg und Fall eines Bürgerlichen
Torsten Diedrich schrieb die erste umfassende Biografie über Friedrich Paulus. Morgen wird sie in Potsdam vorgestellt
Stand:
In „Paulus. Das Trauma von Stalingrad“ schreiben Sie über den Generalfeldmarschall und Oberbefehlshaber der 6. Armee, Friedrich Paulus, er sei ein Mitschuldiger an der Kriegführung des Dritten Reiches aber sicher kein Kriegsverbrecher gewesen. Das klingt verharmlosend.
Unter seinem Vorgänger Reichenau war die 6. Armee wohl führend an den Verbrechen der Wehrmacht gegen Juden und Zivilisten beteiligt. Als Paulus im Januar 1942 das Oberkommando der 6. Armee übernahm, hob er in seinem Armeebereich Befehle auf, die das zuließen, oder er ließ diese nicht durchführen. Dadurch ist ein starker Rückgang solcher Verbrechen in der 6. Armee zu verzeichnen.
Davon mal abgesehen, Paulus, Planer und Koordinator des Barbarossa-Feldzuges, wusste, dass der Krieg gegen die Sowjetunion einen verbrecherischen Charakter hatte.
An der Kriegführung gegen die Sowjetunion trägt er als Angehöriger der Wehrmachtsführung Mitschuld. Paulus ist niemals gegen die Kriegführung Hitlers gegen die Sowjetunion, die von Anfang an als Vernichtungsfeldzug geplant war, aufgetreten. Er sah wie viele, die vom Kaiserreich und der Weimarer Republik geprägt worden waren, Krieg als legitimes und notwendiges Mittel der Politik an, um das Deutsche Reich in das Konzert der Großmächte zurückzuführen. Er verstand sich als Handwerker des Krieges.
Das müssen Sie genauer erklären.
Das ist ein Phänomen, das den größten Teil der höchsten Generalität betrifft. Paulus teilte zwischen politischer und militärischer Verantwortung. Er sah sich als Militär, der seinen durch die Politik erhaltenen militärischen Auftrag durchführen musste und nur die Verantwortung für die militärische Kriegführung übernahm.
Sie haben Paulus als ein typisches Produkt seiner Zeit bezeichnet. Liegen hier die Ursachen für ein solches, aus heutiger Sicht befremdliches Verhalten?
Ja, das Umfeld sozialisiert den Menschen. Das war auch bei Paulus nicht anders. Im Kaiserreich wurden Offiziere als der „Erste Stand“ der Nation geführt. Politik blieb für sie ein Tabu, man war auf den Kaiser eingeschworen. Paulus stammte aus einer kleinbürgerlichen Familie, war durch Streben nach Aufstieg und Geltung geprägt. Seine Offizierskarriere führte ihn aus dem bürgerlichen Milieu. Er heiratete in den rumänischen Hochadel ein, wo er als Bürgerlicher nur wenig Anerkennung fand. Das führte zu einem ausgeprägten Karrierestreben, aber auch zu Eitelkeiten.
Das sind vor allem persönliche Faktoren.
Mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik erfuhr das hoch angesehene Offizierskorps einen enormen Bedeutungsverlust. Mit Hitler kam dann scheinbar der starke Mann, der dem Deutschen Reich und dem Offiziersstand wieder Ruhm und Karriere versprach. Damit glichen sich die Interessen des Offizierskorps und der Nationalsozialisten in verschiedenen Punkten an.
Paulus war ein ausgeprägter Karrierist. War er auch bedenkenlos?
Paulus“ Persönlichkeit war eine sehr komplizierte. Das macht auch den Reiz dieser Biografie aus. Er strebte danach, sich zu beweisen, emporzukommen, besaß jedoch ein großes Gerechtigkeitsempfinden. So setzte er sich bis hinauf zu Hitler dafür ein, dass Generalleutnant Hans von Sponeck, der sich gegen Hitlers und Mansteins Haltebefehl mit seinen Truppen von der Halbinsel Kertsch zurückzog, dafür nicht zum Tode verurteilt wurde. Immer dann, wenn es sein Rechtsempfinden und sein Ehrgefühl betraf, bezog er Stellung. Auch auf die Gefahr hin, seiner Karriere zu schaden.
Warum hat er nicht in Stalingrad Stellung bezogen und so den Untergang der 6. Armee verhindert?
Schon seinem Wesen nach tat sich Paulus mit Entscheidungen schwer. Er wurde zudem bewusst über die Lage der deutschen Truppen außerhalb des Kessels im Unklaren gelassen. Als ehemaliger Planer im Oberkommando des Heeres hatte er gelernt, im großen Ganzen einer militärischen Operation zu denken. Nur dort wusste man, wie es an der gesamten Front aussah und dass eigenständiges Handeln ohne Befehle von der obersten Führung dazu führen konnte, dass ganze Frontabschnitte zusammenbrechen. Das hatte er verinnerlicht.
War er ein stoischer Befehlsempfänger?
Paulus hatte immer wieder um Handlungsfreiheit gebeten, diese aber nicht bekommen. Einem Befehl zuwiderhandeln jedoch vermochte er nicht. Aber Paulus“ Unentschlossenheit vor Stalingrad ist nicht allein sein Versagen. Auch Heeresgruppenführer von Mannstein, das Oberkommando des Heeres oder Göring wagten nicht, Hitlers Haltebefehl zu unterlaufen.
Stalingrad ist das Ereignis, mit dem Paulus bis heute in Verbindung gebracht wird. Sie nennen Stalingrad das Trauma, den Wendepunkt in seinem Leben.
Stalingrad war nicht nur in seinem Leben ein gewaltiger Bruch, sondern in dem der meisten, die den Kessel überlebten. Nicht umsonst rekrutierten sich die meisten, die in Gefangenschaft im Nationalkomitee „Freies Deutschland“ oder später in der DDR aktiv wurden, aus ehemaligen Stalingradern.
War es aber nicht vor allem die zehnjährige Gefangenschaft, die Paulus verändert und zum Umdenken bewogen hat?
Auf jeden Fall. Zeitzeugen belegen, dass diese Gefangenschaft viele Menschen völlig verändert hat. Nun kann man natürlich die Gefangenschaft des Generalfeldmarschalls, der am 31. Januar 1943 als Privatperson in Gefangenschaft ging, um nicht gegen das Kapitulationsverbot zu verstoßen, nicht mit der eines einfachen Soldaten vergleichen. Paulus wurde hofiert und sollte im goldenen Käfig für Stalin als politischer Faustpfand gegenüber Deutschland aber auch den Alliierten dienen. Aber er hat sich lange geweigert, aus der Gefangenschaft heraus politisch aktiv zu werden. Erst 1944, mit dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte und dem Attentat auf Hitler, das ihm gezeigt hat, dass sich auch ihm bekannte Offiziere gegen den Führer gestellt haben, setzte ein Umdenken ein.
Damit kam auch eine neue Lebensaufgabe: Die Verantwortung seiner Mitschuld am Zweiten Weltkrieg aufzuarbeiten.
Ja, er hat sich ganz offen, so bei den Nürnberger Prozessen, zu seiner Mitschuld am Untergang der 6. Armee und am Krieg bekannt. Er wollte Wiedergutmachung am deutschen Volk leisten und diese sah er in seinem Ringen für die Wiedervereinigung.
Er blieb aber in der DDR.
Das war eine der sowjetischen Bedingungen für seine Freilassung. Zudem hatte er von der Bundesrepublik ein sowjetisch geprägtes negatives Bild und fürchtete hier politische oder gar juristische Verurteilung. Und es ging ihm sehr gut in der DDR. Er hatte eine Villa in einer der nobelsten Wohngegenden Dresdens bekommen, ein eigenes Wachkommando und 3000 Mark monatlich, was in der DDR der 50-er Jahre eine enorme Summe war. Er hatte Bedienstete und Köche, ihm fehlte es an nichts. Dafür sollte er der DDR seine Sicht der Ereignisse von Stalingrad im Sinne der kommunistischen Geschichtsschreibung verfassen. Damit konnte er aber nicht umgehen. Deshalb ist sein Buch über Stalingrad nie fertig geworden.
Paulus verstarb am 1. Februar 1957 schwerkrank.
Ja, und ich sage: Dieser Todestag ist symptomatisch für das Trauma „Stalingrad“, das Paulus den Rest seines Lebens begleitete. Jedes Jahr im November, der Zeit also, als die sowjetischen Truppen die 6. Armee in Stalingrad einkesselten, verfiel er in Depressionen ob der Verantwortung für die vielen toten deutschen Soldaten. Ihn haben viele Briefe von Angehörigen erreicht, in denen er gefragt wurde, wo der Sohn, der Vater, der Ehemann, Bruder oder Onkel geblieben sind. Diese schwere innere Belastung mag neben der damals unheilbaren Krankheit mit zum frühen Tod geführt haben.
Kurz vor der Niederlage in Stalingrad hat Paulus geschrieben „Ja, ich weiß, die Kriegsgeschichte hat schon jetzt ihr Urteil über mich gesprochen“. Zu welchem Urteil über Friedrich Paulus ist der Historiker Torsten Diedrich gekommen?
Paulus ist sicherlich eine der umstrittensten Persönlichkeiten der deutschen Militärgeschichte. Er hat sich wie viele Offiziere durch Hitlers Krieg zu einem Rädchen in einem großen Räderwerk machen lassen, wo Verantwortung und Verantwortungsbewusstsein hinter den Befehl zurückgestellt wurde. Auch Friedrich Paulus hat politische Verantwortung weg geschoben und sich hinter Weisung und Befehl zurückgezogen. Das ist ihm vorzuwerfen. Dies ist aber ein Phänomen der Wehrmachtsführung allgemein – nur wenige haben den Widerstand gegen Hitler gewagt.
Das Gespräch führte Dirk Becker
„Paulus. Das Trauma von Stalingrad“ wird morgen, 16 Uhr, im Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Zeppelinstraße 127/128 vorgestellt.
Torsten Diedrich, 1956 in Berlin geboren, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) in Potsdam.
Von 1979 bis 1984
studierte Diedrich
Wirtschaft und
Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Als wissenschaftlicher Oberassistent forschte er von 1984 bis 1990 am
Militärgeschichtlichen Institut der DDR in Potsdam. Seit 1991 ist Diedrich
wissenschaftlicher
Mitarbeiter im MGFA.
Torsten Diedrichs Forschungsschwerpunkte liegen unter
anderem bei der
Geschichte der Nationalen Volksarmee der DDR, Geschichte des Kalten Krieges, im Zeitalter der Weltkriege und der Militär- und Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts. D.B.
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