zum Hauptinhalt
Alles Wurst. 35 Wildschweine hat Boris Plaß allein im vergangenen Jahr geschossen – das Fleisch verarbeitet er selbst. Die leckeren Wildwürste sind begehrt, bis in den August hat er schon Vorbestellungen.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Aug in Aug mit dem angeschossenen Keiler

Boris Plaß aus Groß Glienicke ist Potsdams einziger Jäger, der seine Beute selbst zu Wildwurst verarbeitet

Stand:

Schon von Weitem dringt einem der herzhafte Geruch in die Nase: Kräftig duftet der Wildschwein-Schinken aus dem kleinen Räucherofen hinter Boris Plaß’ Haus, wo sich der Jäger aus Groß Glienicke seine eigene Fleischverarbeitung eingerichtet hat. Auf dem Hof in der Forstallee 34, wo aus Wildschweinen und Rehen Würste, Schinken und Bratenstücke werden, hängt ein verkaufsfertiges Schwein in Folie verpackt, darunter liegt eine Plastikplane mit eingetrockneten Blutflecken. „Wenn man die Schwarte und das Haupt entfernt hat, ist das Schwein schon um ein Drittel leichter“, erklärt Plaß.

Der gebürtige Potsdamer ist der einzige Jäger der Landeshauptstadt, der die von ihm geschossenen Tiere auch verarbeitet und veredelt. Damit angefangen hat der 47-Jährige vor acht Jahren, nachdem er zuerst nur für sich und seine Familie Würste hergestellt hatte: „Das kam so gut an, dass ich beschloss, es professionell zu machen.“ Über 40 000 Euro hat ihn die Anschaffung der nötigen Technik gekostet, doch es lohnt sich: „Es gibt schon jetzt Voranmeldungen für August.“ Werbung braucht Plaß nicht zu machen: Rund 100 Stammkunden hat er, viele davon aus der direkten Umgebung. Hofläden gehören zu den wichtigsten Abnehmern seiner Produkte.

Boris Plaß’ Leidenschaft für sein Handwerk und die Qualität seiner Produkte stammt ursprünglich aus der Jagd: „Die Jagd liegt Männern ja im Blut, manchen mehr, manchen weniger – bei mir halt mehr“, meint Plaß und grinst. Sein Vater stammt aus Thüringen und jagt selbst seit 50 Jahren. Seit er 13 Jahre alt war, sei er mit seinem Vater durch die Wälder gezogen. „Ich wollte in seine Fußstapfen treten“, sagt Plaß, „aber wer Jäger werden will, muss erst mal zwei bis drei Jahre mitlaufen, als Lehrling sozusagen“.

1986 meldete Plaß sich für die Jägerprüfung an – unter Waidmännern auch „grünes Abitur“ genannt – doch das Gesuch wurde vom Volkpolizeikreisamt abgelehnt. Begründung: „Keine gesellschaftliche Tätigkeit“. Vier Wochen später kam der Einberufungsbefehl zum Grundwehrdienst für die Grenztruppen der DDR. Mit diesem sei Plaß erneut zu der Behörde gegangen: „Ich habe gesagt: Ich verstehe das nicht, zum einen wird abgelehnt, dass ich als Jäger eine Waffe tragen darf, aber ich bekomme das Vertrauen des Staates, die Grenze zu bewachen.“ Nach einem Monat kam dann doch die Genehmigung – allerdings erst für die Zeit nach dem Grundwehrdienst.

Zusammen mit zwei anderen Jägern ist Plaß für ein rund 400 Hektar großes Gebiet in Groß Glienicke zuständig. Im vergangenen Jahr hat er 25 Rehe und 35 Wildschweine erlegt. Letztere können wegen ihrer rasanten Vermehrung das ganze Jahr über gejagt werden. Bei ihm zu Hause hängen die Früchte dieser Arbeit: Dutzende von frischen Wildschweinwürsten, die noch geräuchert werden müssen. In einer Ecke steht ein waschmaschinengroßer Fleischwolf, daneben eine Metallwanne zum Vermengen des Gehackten. Etwas abseits hängen drei „Extra-Würste“, die länger trocknen müssen und nach gewisser Zeit steinhart werden: „Die habe ich extra für einen Kunden zur Seite gehängt – der mag das so“, erklärt Plaß.

Für diesen schmackhaften Brotbelag hat Plaß oft halbe Nächte lang bei zweistelligen Minusgraden im Wald verbracht, denn Wildschweine sind nachtaktiv. Plaß beklagt sich nicht über die Kälte, im Gegenteil: „Im Schnee kann man die Tiere besser sehen.“ Dabei habe er im Durchschnitt nur bei einem von zehn Jagdeinsätzen überhaupt Erfolg: „Vor Weihnachten habe ich wochenlang keine Wildschweine gesehen, da habe ich echt die Krise gekriegt.“

Plaß war den Tieren allerdings schon einmal näher, als ihm lieb war: Vor etwa zehn Jahren befand er sich mit einem anderen Jäger im Wald auf der Suche nach einem angeschossenen Keiler. Dieser sprang plötzlich aus dem Dickicht und warf Plaß rücklings um. „Das Wildschwein stand über mir und ich habe ihm direkt in die Augen geschaut“, erinnert sich Plaß. Der andere Jäger war zwar in der Nähe, fürchtete aber, mit einem Schuss auch seinen Kollegen zu treffen. Zum Glück ließ das Tier schnell wieder von Plaß ab, bevor es ihn verletzen konnte.

Obwohl Plaß gelernter Jäger ist – gelernter Fleischer ist er nicht. Für Wildfleisch gelten andere Bestimmungen als für Nutztierfleisch, eine Fleischerausbildung ist nicht zwingend zum Verarbeiten und Veredeln nötig. Plaß’ Produkten wird deshalb nicht weniger Vertrauen entgegengebracht, im Gegenteil: „Gerade angesichts der Lebensmittelskandale sagen mir viele Kunden, dass sie sich hier sicherer fühlen“, so Plaß. Er könne genau sagen, woher sein Fleisch kommt und wo er es geschossen hat. Zudem wäre Schlamperei für Plaß gar nicht lohnenswert, denn sobald dies bekannt würde, bräche sein Geschäft zusammen: „Ich kann es mir nicht leisten, zu betrügen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })