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Homepage: Aus der Bewegung heraus denken Eine neue Sicht auf den Gelehrten Humboldt
Im September 1803 stößt Alexander von Humboldt auf einer seiner Reisen in Neuspanien, dem heutigen Mexiko, plötzlich auf den Krater des Vulkans Jorullo. Ohne weitere Umstände zu machen steigt er hinab.
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Im September 1803 stößt Alexander von Humboldt auf einer seiner Reisen in Neuspanien, dem heutigen Mexiko, plötzlich auf den Krater des Vulkans Jorullo. Ohne weitere Umstände zu machen steigt er hinab. Und kommt mit einer Erkenntnis wieder hoch, die für die Geologie in der Folge von großer Bedeutung sein dürfte. Vor Ort macht er Skizzen von der gesamten Vulkanlandschaft. Er erkannte, dass der große Vulkan mit den vielen kleinen Kratern in seinem Umfeld in einer bestimmten Anordnung stand, die nicht zufällig sein konnte. Humboldt kam so zu der Theorie der Erdspalten. Womit ein erster Vorläufer der späteren Lehre der Plattentektonik geboren war.
Der reisende Gelehrte hatte die geologischen Formationen des Vulkansystems in verschiedenen Karten visualisiert. „Humboldt hat einen visuellen Zugriff auf dieses geologische Phänomen geschaffen“, sagte der Romanist Tobias Kraft von der Universität Potsdam. Am Dienstag hatte er die Begebenheit in einem Vortrag zum 1. Potsdamer Alexander-von-Humboldt-Tag in der Wissenschaftsetage als Beispiel für Humboldts Erkenntnisfindung erwähnt. „Das zeigt sehr schön, wie das Wissen bei Humboldt entstanden ist“, so Kraft. Als Reisender habe Humboldt sofort erkannt, wenn er ein perfektes Abbild eines wissenschaftlichen Themas vor sich hatte. „Auch typisch für ihn war, dass er sich dafür ohne Weiteres in Gefahr begab“, so Kraft.
Gemeinsam mit dem renomierten Potsdamer Romanisten Ottmar Ette hat Tobias Kraft das Humboldt-Treffen organisiert, zu dem Experten aus dem In- und Ausland nach Potsdam gekommen waren, um neueste Forschungsergebnisse zu diskutieren. Mit dem Treffen wollte man auch Akteure der Humboldt-Forschung, besonders aus der Region Berlin-Brandenburg, stärker miteinander vernetzen. Die Veranstaltung steht im Kontext des Projekts „Alexander von Humboldts Amerikanische Reisetagebücher: Genealogie, Chronologie und Epistemologie“, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Ottmar Ette, Professor für französisch- und spanischsprachige Literatur an der Uni Potsdam, war im vergangenen Jahr mit der inhaltlichen und materiellen Erschließung der Tagebücher beauftragt worden. Fünf Jahre reiste Alexander von Humboldt von 1799 bis 1804 durch Südamerika. Unterwegs, auf der wohl ersten Forschungsexpedition überhaupt, führte der jüngere Bruder Wilhelm von Humboldt Tagebuch, es entstanden neun Bände mit winziger, schwer zu entziffernder Handschrift.
Ette selbst sprach am Dienstag über Humboldt als „nomadischen Denker“. Ein Begriff, den der Gelehrte selbst verwendet habe. Gemeint sei damit ein Denken aus der Bewegung heraus. „Es geht darum, einen Gegenstand aus vielen verschiedenen Perspektiven und dem Blickwinkel verschiedener Kulturen zu betrachten, aber auch darum, zwischen verschiedenen Sprachen zu reisen“, erklärte Ette den PNN. „Das ist auch heute eine Überlebensfrage für die Menschheit, ob wir in der Lage sind, nicht nur von unserem eigenen mehr oder minder statischen Standpunkt aus zu denken“, so Ette. Diese Frage sei für die Kulturen auch heute noch von großer Bedeutung. Auch die Frage nach dem Denken zwischen verschiedenen Disziplinen habe Humboldt schon sehr früh umgetrieben. „Er bezeichnete sich als Nomaden zwischen den Wissenschaften.“ Lernen könnten wir heute noch von Humboldt, wie verschiedene Disziplinen quer – also transdisziplinär - zu denken sind.
Ottmar Ette wies wiederholt auch auf das Transitorische und Veränderliche der Tagebücher hin, die Alexander von Humboldt bis zum Tod weiter ergänzte. Die Tagebücher enthalten Berichte früherer und späterer Reisen: „Nach der Reise war für Humboldt bis ins hohe Alter stets vor der Reise. Unzählige Anmerkungen, Notizen, Kollektaneen und eingeklebte Zettel zeugen davon, dass Humboldt ein Leben lang nicht nur mit, sondern auch an seinen Reisetagebüchern arbeitete und weiterschrieb“, so Ette. Jan Kixmüller
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