Landeshauptstadt: Aus Verzweiflung Freitod
Am Sonntag werden wieder Stolpersteine verlegt: Schüler recherchierten die Schicksale des Ehepaars Back und des Villa-Schöningen-Bewohners Wallich
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Bei den Backs war der Name Programm: Eine Bäckerei eröffneten Julius und Marta Back im Jahr 1922 in der Brandenburger Straße. Für das Ehepaar mit drei Kindern war es bereits die zweite Existenz – Julius war Mitte 50, als er mit seiner Frau und den drei Kindern aus Wronke bei Posen, dem heutigen polnischen Poznan, an die Havel zog. Doch glücklich sollten sie hier nicht werden. 1932 gaben sie ihr Geschäft auf, unterstützten danach ihre Kinder, die in den Anfangsjahren des Nazi-Regimes nach Bolivien und England auswanderten. Als die Backs am 12. März 1940 schließlich selbst den Ausreiseantrag stellten, war es bereits zu spät. Das Ehepaar wurde zur Deportation in das Sammellager im Jüdischen Altersheim in Babelsberg in der heutigen Spitzweggasse geschafft, am 3. Oktober 1942 wurden sie ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Julius starb wenige Wochen später im Alter von 74 Jahren an den Folgen der Haft.
Am morgigen Sonntag werden für die Backs zwei Stolpersteine verlegt, im Gehweg vor ihrer ehemaligen Wohnung in der Ebräerstraße 4. Und auch der frühere Besitzer der Villa Schöningen, der Banker und Familienvater Paul Wallich, der 1938 aus Verzweiflung über seine Lage den Freitod wählte, wird morgen mit einer solchen Messingplatte mit seinem Namen und den Lebensdaten geehrt. Der Kölner Künstler Gunter Demnig hatte das Stolperstein-Projekt zur Erinnerung an Holocaust-Opfer 1997 ins Leben gerufen, mittlerweile gibt es europaweit mehr als 35 000 solcher Gedenksteine. In Potsdam werden es ab Sonntag 25 sein.
Wie bei den bisher hier verlegten Stolpersteinen recherchierten Schüler der Voltaireschule im Vorfeld die Lebensgeschichten der Geehrten. Und wie ihre Vorgänger in den Vorjahren leisteten die Achtklässler dabei Erstaunliches: So machten sie Nachfahren der heute über drei Kontinente verstreuten Familie Wallich ausfindig und kamen einer Urenkelin der Backs, Sarah Krein, in Israel auf die Spur. Sie sei ziemlich überrascht über die Anfrage aus Potsdam gewesen, erzählt der Achtklässler Peter Bliß – aber auch erfreut darüber, dass sich endlich jemand für die Geschichte ihrer Familie interessiert. Noch ist der Kontakt ganz frisch, die Schüler des Religionskurses der 8 l hoffen darauf, Sarah Krein und auch die Wallich-Nachfahren eines Tages persönlich kennenzulernen.
Unter Anleitung ihrer Religionslehrerin Ulrike Boni-Jacobi hatten die Schüler das Projekt ein halbes Jahr lang vorbereitet: Von der Recherche im Landeshauptarchiv, bei der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem oder im Internet zeigten sich die Schüler bei einer Präsentation am Freitag noch bewegt – abgeschlossen ist das Kapitel für sie mit der Verlegung der Steine sicher nicht. „Das wichtigste war für mich, einem Menschen, der wahrscheinlich fast vergessen war, wieder ein Gesicht geben zu können“, sagte zum Beispiel Isabel Semer. „Es ist fast so, als hätte ich sie persönlich gekannt“, meint ihre Klassenkameradin Lea Löhr. Für die Arbeit bedankte sich auch Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD): „Ich finde es sehr wichtig, dass wir an die jüdische Tradition in Potsdam und das Schicksal dieser Familien erinnern.“ J. Haase
Gunter Demnig verlegt die Stolpersteine am morgigen Sonntag 10.30 Uhr vor der Ebräerstraße 4 und 11.30 Uhr den Stein für Paul Wallich vor der Villa Schöningen an der Glienicker Brücke. Im Anschluss berichten die Voltaireschüler in der Villa von ihrer Recherche und lesen unter anderem Gedichte von Paul Wallich.
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