
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Ausflug zum Mahnmal
Der richtige Umgang mit den „Schattenorten“ der Geschichte bietet für Potsdam auch Chancen, sagen Historiker
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Innenstadt – Wer an einem schönen Sommertag in Berlin-Mitte am Holocaust-Mahnmal vorbeigeht, kann es live beobachten: Der Umgang mit der dunklen Geschichte des 20. Jahrhunderts hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Häufig sitzen Besucher auf oder an den Stelen beim Pausensnack, lachen und diskutieren über das nächste Ausflugsziel – nichts zu spüren von einem schlechten Gewissen und dem Drang zum Vergessen, wie es vielleicht noch in der Nachkriegszeit üblich war.
Die Gräuel der NS-Vergangenheit werden zunehmend zum Anziehungspunkt für Touristen und Ausflügler. In Potsdam haben nun am Donnerstagabend Historiker und Politiker auf der Tagung „Schattenorte, Stadtimage und Vergangenheitslast“ über den Umgang mit der eigenen dunklen Geschichte diskutiert. Einig waren sich die Teilnehmer darin, dass das Vergessen der schlimmen Ereignisse des Nationalsozialismus nicht funktioniert. „Ein Vergessen und eine Tabuisierung ist eine undenkbare Option“, sagte der Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam, Martin Sabrow, am Abend im Potsdam Museum vor rund 100 Zuhörern. Die Zeit des Nationalsozialismus müsse hervorgehoben werden und könne dadurch das Stadtimage verbessern. Dies bringe aber auch eine „Trivialisierung und Ritualisierung“ mit sich. Die kritische Reflexion gehe ein Stück weit verloren.
An vielen „Schattenorten“, die mit dem Nationalsozialismus verbunden sind, sei mittlerweile eine „Gegenwartslust an der Geschichtslast“ entstanden. Dies beziehe sich etwa auf Orte wie Dachau, Auschwitz oder Hiroshima, die sich zu touristischen Anziehungspunkten entwickelt hätten. Dort sei ein Tourismuszweig entstanden. Reiseanbieter würden Touren zur Wolfsschanze oder dem früheren Domizil von Adolf Hitler am Obersalzberg bei Berchtesgaden anbieten. Sabrow sprach von einer „nicht heilenden Wunde, die aber dennoch ein Gewinn ist“.
Er riet der Stadt, sich offensiv mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, ihre dunkle Seite hervorzuheben und verwies auch auf die Diskussion um den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Diese sei eng mit dem Tag von Potsdam verbunden. „Die Nikolaikirche war mehr Schattenort als die Garnisonkirche. Auch wenn das heute niemand mehr wahrhaben will“, sagte er und bezog sich damit unter anderem auf die Zerstörung der Kirche beim Bombenangriff 1945.
Vergessen und verdrängen sei nicht der richtige Weg, mit der Geschichte umzugehen. In manchen Fällen habe es in der Vergangenheit eine „gezielte Nihilierung durch materielle Vernichtung, durch feierliche Auslöschung aus dem Bereich des öffentlich Sagbaren“ gegeben. Auch am Wohnsitz des früheren DDR–Staatschefs Erich Honecker, der Waldsiedlung in Wandlitz, werde falsch mit der Geschichte umgegangen, sagte Sabrow. Die brandenburgische Kurklinik, die das Gelände heute in ihrem Besitz habe, erinnere vor Ort an ihre eigenen Gründer, aber nicht an die zeithistorische Bedeutung des Ortes während der DDR-Zeit.
In Potsdam würden allein durch die Stadtstruktur schon viele historische Brüche sichtbar zwischen dem strahlenden Preußentum, dem Nationalsozialismus und der ehemaligen DDR, betonte Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Diese könnten Identität stiften, zu der dann eben auch die unrühmliche Geschichte gehöre. Dies zeigten auch Beispiele aus anderen Städten.
„Schattenorte stehen nicht für sich selbst, sondern für das menschgemachte Grauen“, sagte Jakobs. Damit müsse sich die Stadt auseinandersetzen. Jakobs verwies in diesem Zusammmenhang auf das im vergangenen Jahr verabschiedete Erinnerungskonzept, das derzeit umgesetzt werde. Zuletzt hatten Historiker eine Sonderausstellung gefordert, in der das Thema Nationalsozialismus in Potsdam umfassend und nicht schlaglichtartig aufgearbeitet werden könnte.
Stefan Engelbrecht
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