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Landeshauptstadt: Aussteigern die Ohren abgetrennt

Drogendelikte sind der Polizei von vielen Schulen bekannt / Experten kritisieren fehlende Aufklärung

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Der Drogenkonsum von Kindern und Jugendlichen in Potsdam wird unterschätzt. Das ist die wichtigste Erkenntnis einer Podiumsdebatte der FDP vom Dienstagabend. Die Liberalen hatten Präventionsexperten von Polizei, Drogenberatungsstellen und einer Suchthilfeklinik in das Haus der Natur eingeladen. Einvernehmlich sprachen sie sich dafür aus, die Präventionsarbeit für Schulen zur Pflicht zu machen. Lehrer und Eltern sollten nicht länger die Augen vor dem Drogenproblem verschließen, so der Tenor.

Denn Aufklärungsarbeit in Sachen Drogenmissbrauch ist nicht an allen Potsdamer Schulen eine Selbstverständlichkeit, wie Renate Michael, Leiterin der Abteilung Prävention bei der Polizei, sagte. Obwohl Angebote vorhanden sind, lehnten Schulleiter die Hilfe von Polizei und Beratungsstellen ab. Besonders zwei namhafte Gymnasien in der Stadt täten sich schwer, auf die Angebote einzugehen. „Die Direktoren verschließen die Augen vor den Problemen, um nicht in Verruf zu geraten“, so die Präventionsexpertin. Tatsächlich sind der Polizei aber an jeder weiterführenden Schule in Potsdam kleinere oder größere Drogendelikte bekannt.

„Unsere Angebote werden oft erst wahrgenommen, wenn es ein ernstes Problem gibt“, sagt auch Rüdiger Schmolke vom Verein „Chill Out“ in Potsdam. Seit über zehn Jahren ist die Drogenberatungsstelle aktiv, wird von der Stadt bezahlt. Aber: „Der Stellenwert von Suchtprävention ist an den Schulen zu gering.“ Nur wenn die Berater frühzeitig aufklärten, hätten sie eine Chance. „Wenn die Kinder regelmäßig konsumieren, können wir nichts mehr beeinflussen“, sagt Schmolke. Spätestens mit 15 Jahren hätten sich aber fast alle Jugendlichen einmal in den Rausch getrunken. „Die wissen, dass es ungesund ist.“ Dennoch hätten sie es verpasst, sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Macht der Gruppe sei oft zu stark.

Das bestätigt auch Ulrich Preuß, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Brandenburg/Havel. Vor zwei Wochen musste er ein volltrunkenes neunjähriges Mädchen aufnehmen, sie hatte 1,4 Promille Alkohol in ihrem Blut. Bier und Schnaps seien die Einstiegsdrogen, dem folgt Cannabis, später härtere Drogen: „Die Joints werden in der Gruppe herumgegeben.“ Viele Eltern unterschätzten die Gefahr: Neue Hanf-Züchtungen seien fünf- bis zehnmal stärker als die Präparate, die einige Mütter oder Väter aus ihrer Jugend kennen. „Gegen das, was heute auf dem Markt ist, sind die Drogen von damals Kinderkram.“

Deshalb gelte es für Eltern, frühe Signale zu beachten: Drogen veränderten die Persönlichkeit, Schulnoten werden schlechter, die Konzentration lässt nach. „Wenn der Rausch vorbei ist, bleibt die Depression“, sagt Preuß. Eltern sollten das Gespräch suchen, meist gehe der Kontakt zum Kind lange vor dem Konsum verloren. Später werde geschwiegen. „Damit verlieren Eltern den Einfluss“, weiß der Psychiatrie-Chef. Nicht selten reagierten sie wütend, wenn Lehrer sie auf die Sucht des Kindes hinwiesen.

Polizeihauptkommissarin Renate Michael weiß, wie sich die Drogenspirale dreht: „Fixe Kerlchen denken sich, sie können mit dem Drogenverkauf ihr Taschengeld aufbessern.“ Aus diesen Kreisen wieder herauszukommen, sei aber schwer. Beim Versuch, auszusteigen, wurden Jugendlichen unter anderem Ohren abgetrennt. In einem anderen Fall drangen die Drogenverkäufer in das Haus der Familie ein, standen nachts plötzlich am Bett der Eltern, um die Schulden des Kindes einzutreiben. „Ich kann dann nur raten, zur Polizei zu gehen. Die Kraft dazu müssen Eltern haben.“

Konsequent sein, das rät auch Wolfgang Kiehl. Der Suchtberater war selbst sieben Jahre abhängig. Inzwischen ist er mit seinem Suchtmobil deutschlandweit im Einsatz. „Die Kranken dürfen den Gesunden nicht erzählen was richtig ist“, sagt Kiehl. Es sei ein Armutszeugnis, wenn Schüler bestimmten, dass eine Abi-Abschlussfeier oder eine Klassenfahrt mit Alkohol in großen Mengen begossen werden müsse. „Ziehen Sie sich ein paar Stiefel an, setzen Sie Ihr Kind vor die Tür, seien Sie konsequent“, rät Kiehl den Eltern, deren Kinder der Sucht verfallen sind.

Gute Erfahrungen hat indes Jacqueline Schubert von der Arbeiterwohlfahrt mit dem sogenannten Skoll-Projekt in Potsdam gemacht. Das Selbstkontrolltraining setzt darauf, den Konsum zu stabilisieren und zu reduzieren, um am Ende ganz auf Drogen zu verzichten. Auch sie hat den Potsdamer Schulen entsprechende Beratungsangebote unterbreitet – mit bislang zu wenig Resonanz. Als positive Ausnahme nennt Schubert die Voltaire-Gesamtschule. Schon beim ersten Verdacht schickten dort Lehrer betroffene Kinder zur Suchtberatung. In anderen Schulen werden Probleme ignoriert: „Lehrer bekommen nicht mit, dass Schüler mit Kaninchenaugen die Klasse betreten.“ Für Lehrer und Eltern müsse es selbstverständlich sein, Kinder auf die roten Augen vom Cannabis-Rauchen anzusprechen, sagt Schubert. „Wir müssen die Schüler in der frühesten Missbrauchsphase erreichen.“

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