Von Peer Straube: Austern und Tyrannenblut
Finanzminister Speer und Landtagspräsident Fritsch erleben bei den Ausgrabungen am Alten Markt Überraschungen
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Die glibberige Masse ist schon lange verdaut. Vielleicht, mutmaßt Nicola Hensel, im Magen des Großen Kurfürsten. Die Archäologin hält ein paar Austernschalen in der Hand, sie liegen auf einem Tisch neben anderen Fundstücken aus der Großgrabungsfläche des Stadtschlosses auf dem Alten Markt.
An diesem Montagvormittag besuchen Landtagspräsident Gunter Fritsch und Finanzminister Rainer Speer die innerstädtische Dauersandwüste, auf der Ende 2012 Brandenburgs neuer Landtag stehen soll. Die beiden Sozialdemokraten lassen sich zeigen, was die Archäologen in der letzten Zeit so alles aus Potsdams ältestem Siedlungsflecken gebuddelt haben. Die Austern zum Beispiel. Sie wurden aus einem Abwasserkanal gefischt, dessen Erbauung sich auf 18 Jahre eingrenzen lässt: 1664 bis 1682. Somit spricht einiges dafür, dass die historische Feinkost den kurfürstlichen Schlund hinabgewandert sein könnte.
Nur wenige Meter neben dem Straßenbahngleis fällt ein gut erhaltener Steinfußboden ins Auge. Er gehörte einst zu einem 500 Quadratmeter großen Speisesaal des Großen Kurfürsten. Die Kalkplatten wurden im 17. Jahrhundert aus Schweden herbeigeschafft und im Barockschloss Friedrich Wilhelms verlegt. 1688 wurde auf jenen Kalksteinfliesen auch der Leichnam des Kurfürsten aufgebahrt. Ein paar Jahrzehnte später adelte sein Enkel, der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., den Saal zum Weinkeller.
Zur Langen Brücke hin ragen Fundamente aus dem Sandboden, Überreste von alten Treppen und Kutschenauffahrten. Laut Grabungschef Jonas Beran handelt es sich um „Spuren“ des Jagdschlosses Kurfürst Joachims I. aus dem 16. Jahrhundert. „Es war das erste, kunsthistorisch überregional bedeutende Gebäude am Alten Markt“, sagt Beran. Aus Joachims mit Ringmauern und Eckbastionen bewehrter Trutzburg ging nach mehreren Umbauten schließlich das Knobelsdorffsche Stadtschloss hervor. Neben den Fundamentresten deuten Verfärbungen im Boden auf den Verlauf einer mittelalterlichen, mit Holzbohlen oder Reisigbündeln befestigten Straße hin, über die einst Händler mit ihren Karren Richtung Havel rumpelten. Es ist diese Überlagerung der Jahrhunderte, die diesen südlichen Teil der Stadtschlossfläche zum Bodendenkmal ersten Ranges machen. Mit „Primärschutz“, wie Landesarchäologe Franz Schopper betont. Das heißt, es wird nur untersucht, nichts ausgegraben. Mauern und „Speers Weinkeller“ bleiben in der Erde und sollen auch nach dem Bau des Landtags in „geeignetem Umfang“ für die Öffentlichkeit sichtbar sein. Ob’s eine Glasplatte wird, durch die Besucher aufs royale Weindepot lugen können, lässt der Minister offen. Es gebe aber „Vorgaben“ an den Bauherren.
Rätsel gibt den Archäologen etwas auf, was nicht da ist. Fundamente, die eigentlich zur mittelalterlichen Burg gehören sollten, stammen, wie sich herausstellte, von Joachims Renaissanceschloss. „Wir suchen weiter“, zuckt Stadtarchäologin Gundula Christl mit den Achseln. „Die Burg ist im Landbuch Kaiser Karls IV. von 1375 erwähnt, also muss sie auch da sein. Vielleicht unter den Straßenbahngleisen, vermutet Oberbürgermeister Jann Jakobs, der sich augenzwinkernd zu der Aussage versteigt, Teile der Stadtgeschichte Potsdams müssten sonst „neu geschrieben“ werden.
Bis Jahresende haben die Archäologen noch Zeit, neben all den Scherben, Feuersteinpfeilen, Tongefäßen und königlichen Sektgläsern auch noch die Mittelalterburg zu finden. 14 000 Quadratmeter werden sie dann umgegraben und 2,5 Millionen Euro ausgegeben haben. Der Bauablauf ist laut Sanierungsträger-Chef Erich Jesse nicht gefährdet. 14 Wochen Zeitverzug durch Bombensuche und den harten Winter seien aufgeholt worden, man sei wieder im Plan. Noch in den Sommerferien soll das Höhenniveau der Gleise der neuen Trambrücke an den künftigen Straßenverlauf um den Landtag herum angepasst werden. Zwei Wochen soll das laut Jesse dauern, in denen Schienenersatzverkehr gefahren wird.
Noch aber donnert die Tram in ihrem alten Gleisbett auf einem Wall über die Grabungsfläche. Darunter schippt Landtagspräsident Fritsch etwas Sand beiseite. Er stößt auf eine Holzkiste, darin zwei Weinflaschen. „Tyrannenblut“, klopft Jesse dem Finanzminister lachend auf die Schulter. Speer grinst und trinkt. Der Tropfen stammt nicht aus dem alten Weinkeller. Er kommt aus der Pfalz.
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