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Landeshauptstadt: Babelsberg hängt die Stars ans Seil

Action Unlimited: Stuntcrew gründet Hollywood-Firma

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Action Unlimited: Stuntcrew gründet Hollywood-Firma Von Sabine Schicketanz Sie ziehen Thomas Gottschalk am Seil durch die Luft, fangen Kugeln für Matt Damon, kämpfen mit Jackie Chan, lassen für Jean-Jacques Annaud Scharfschützen antreten. Die Männer und Frauen der Babelsberger Stuntcrew kennen alle Tricks. Brände, Überschwemmungen, Schießereien, Explosionen, Autokarambolagen – nichts, was sie nicht inszenieren können. Und das tun sie jetzt ganz professionell: Die Stuntmänner Armin Sauer und Christoph Genesis haben eine neue Firma gegründet, hervorgegangen aus der Stuntcrew, die im „Vulkan“ des Babelsberger Filmparks für Aufsehen sorgt. „Action Unlimited“ heißt das Unternehmen, das 30 feste und freie Mitarbeiter beschäftigt und eine mittlerweile seitenlange Liste mit Referenzen vorlegen kann. Nahezu alle Filme, die in den vergangenen Jahren im Babelsberger Studio produziert worden sind, tauchen darauf auf: Angefangen bei „Katharina, die Große“ mit Catherine Zeta-Jones von 1993 über den Klassiker „Sonnenallee“, „Taking Sides“ von Istvan Szabo und „Duell – Enemy at the Gates“ von Jean-Jacques Annaud bis zum Agententhriller „The Bourne Supremacy“, der gerade mit Hollywood-Star Matt Damon in der Hauptrolle in Babelsberg und Berlin gedreht wird. Quasi nebenbei tritt „Action Unlimited“ außerdem bei TV-Serien, Fernsehfilmen, Musikvideos und Werbespots und sogar bei Theateraufführungen in Aktion. „Bei ,Bourne’ haben wir einige Autos zu Schrott gefahren“, sagt Christoph Genesis. 43 ist er und war früher Croupier im Casino. Ein gutes Auge braucht er in seinem heutigen Beruf auch, dazu starke Nerven und große Leidensfähigkeit. Als er jüngst beim Dreh eines Massencrashs im Berliner Tiergartentunnel einen Wagen mit 60 Kilometern pro Stunde gegen die Wand setzen musste, „da hatte ich eine Woche Spaß“, gesteht Genesis. Prellungen, Kopfschmerzen, Blutergüsse, Verbrennungen und Brüche, das sind die Berufskrankheiten der Stuntmänner. „Man fühlt sich wie ein Boxer nach einem Kampf zu viel.“ Starke Schmerzmittel sind dennoch tabu. Genesis schwört stattdessen auf einen Geheimtipp: „Pferdesalbe. Die hilft gegen alles.“ Für einen Drehtag hatte der Potsdamer aber auch die Ehre, den Hauptdarsteller zu doubeln. Eine Kugel durfte er fangen für Matt Damon, der im Übrigen sehr nett sei. „Wir saßen gemeinsam in der Maske.“ Früher hat Genesis oft gefährliche Szenen für Harald Juhnke übernommen, jetzt hofft er der Arbeit wegen auf den nächsten Star: Vielleicht, so wird in Babelsberg getuschelt, kommt Tom Cruise und dreht hier „Mission: Impossible III“. Dann hätten die Stuntleute von „Action Unlimited“ ordentlich zu tun. Für Action ohne Grenzen sorgen Genesis, Sauer und ihre Kollegen seit kurzer Zeit auch mit einer in Deutschland fast gänzlich unbekannten Methode. „Rigging“ heißt sie und gehört in den USA beinahe zum Standardprogramm. Statt teure Doubles einzusetzen, werden die Schauspieler mit dieser Technik einfach an einem Seil durch die Luft gezogen. Ob ein deftiger Schlag in die Magengrube, ein gewaltiger Sprung oder auch nur eine ungewöhliche Bewegung – all das lässt sich per „Cable and Wire“-Technik perfekt und authentisch realisieren, denn das Seil wird später wegretuschiert. Zu besichtigen ist das „Rigging“ derzeit im Fernsehen: Beim Dreh zum Werbespot der Deutschen Post mit Thomas Gottschalk haben die Babelsberger Spezialisten den TV-Star angeleint und ihm so ermöglicht, ganz locker auf ein Auto zu springen. Dennoch: „Was Action in Filmen angeht, ist Deutschland ein Entwicklungsland“, sagt Armin Sauer, Stuntman der ersten Stunde. Doch ohne zumindest ein bisschen Action seien nur die wenigsten Streifen an der Kinokasse erfolgreich, glaubt er. Um in Sachen „Rigging“ die erste Adresse hierzulande zu werden, haben Sauer und Genesis eine Kooperation mit dem Kanadier David Harcourt geschlossen. Kennen gelernt haben sie den Spezialisten bei den Dreharbeiten zur Millionen-Produktion „In 80 Tagen um die Welt“ mit Actionstar Jackie Chan. Harcourt ist seit den 70er Jahren „Rigging“-Experte, „Head of Performance Flying“ ist sein offizieller Titel. Das heißt, er kann nahezu alles Erdenkliche an Seilen durch die Luft gleiten lassen. Für „Action Unlimited“ ist die internationale Partnerschaft von großem Wert: Filmproduzenten aus Hollywood, meint Armin Sauer, kennen David Harcourt. Sein Name ist ein Qualitätssiegel, schließlich hat er schon mehr als 50 Spielfilme mit Action ausgestattet. Und obwohl das Studio Babelsberg seine Stuntcrew auf dem „Hinterhof“ immer anpreist, könnten die Filmproduzenten nun öfter einmal ein paar ihrer Fachleute zuhause lassen und stattdessen die Babelsberger engagieren. Allerdings kann sich „Action Unlimited“ schon jetzt über mangelnde Aufträge kaum beschweren. „,The Bourne Supremacy“ ist unsere bisher größte Herausforderung“, sagt Sauer. Beim Massencrash im Tiergartentunnel seien die Stuntleute tatsächlich „nur Staffage“ gewesen. „Da haben wir uns schon auf die Schulter geklopft, dass nicht mehr passiert ist.“ Immer noch beeindruckt ist Sauer von der Zusammenarbeit mit Regisseur Roman Polanski, der in Babelsberg seinen preisgekrönten Film „Der Pianist“ gedreht hat. „So einen Mann habe ich noch nie erlebt“, erzählt Sauer. „Er hat einfach eine Aura. Obwohl er schon 70 ist, hat er sich mal eben auf den Bordstein fallen lassen, um uns zu zeigen, wie es aussehen muss.“ Damit auf der Leinwand alles so aussieht, wie es aussehen muss, beschränkt „Action Unlimited“ sich nicht nur auf die schmerzhaften Einsätze. Im Repertoire haben Genesis und Sauer fast alles, was zum Filmemachen notwendig ist: Komparsen, Drehort-Sucher, im Fachjargon „Location Scouts“ genannt, Personal für die Absperrungen und die Ausrüstung für Stunts aller Art. Ihr Lager könnte auch als Überlebens-Camp herhalten: Luftkissen, Schutzanzüge, Pistolen und Schwerter, dicke Schaumstoffmatten, Rampen, Boote und komplizierte Hebetechnik bieten die Babelsberger den Filmfirmen zum Mieten an. Auf Inspiration aus Action-Filmen kann „Action Unlimited“-Chef Christoph Genesis allerdings verzichten. „Ich gucke lieber Liebesfilme“, sagt er. Auch die Angst vor dem nächsten Stunt kennt er immer noch. „Die sollte man auch haben. Routine ist das gefährlichste, was es für uns gibt. In einer tausendstel Sekunde Unaufmerksamkeit hat man sich die Haut verbrannt.“ Ansonsten zählt für die Stuntleute nur eins: „Augen zu und durch.“

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