Berlinale 2015: Babelsberger Filmstudenten auf der Berlinale
Zwei Absolventen der Babelsberger Filmuni haben an dem Film „Bube Stur“ mitgearbeitet, der zurzeit auf der Berlinale läuft. Gespannt warten sie nun darauf, ob ihr Werk auch prämiert wird. Am 18. Februar ist der Film auch in Potsdam zu sehen.
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Potsdam/Berlin - Nur am Anfang sieht man kurz die Sonne, sie scheint durch die Täler in das Auto von Uwe, der Hanna auf seinen Hof bringt. Dann sehen wir die Sonne nicht mehr, die Schwarzwaldwiesen bleiben braun, die Schneereste des Winters liegen auf ihnen wie Dreck. Der Himmel ist nur noch grau, die Wolken hängen tief, es grummelt und regnet, hier und da schießt das Kreischen eines Düsenjägers über die Tonspur. Keine sattgrünen Wiesen, in die man sich hineinschmeißen möchte. Der Film „Bube Stur“ ist Sozialrealismus statt Sozialromantik, er zeigt die ungeschönte Härte des Landlebens in der Provinz, fern von Schwarzwaldkitsch und Landlust.
Die junge Hanna – äußerst authentisch von Ceci Chuh verkörpert – war im Gefängnis, nun soll sie auf Uwes Hof Arbeitsstunden leisten. Uwe aber ist am Ende mit seinem Hof, wie auch mit seiner Ehe. Er kippt die Milch seiner Kühe in die Gülle. Als einziger im Ort streikt er gegen die niedrigen Milchpreise der Molkereien, während die anderen Bauern mit den Molkereien mitziehen, um zu überleben. Den Kredit bei der Bank kann er nicht mehr bedienen, seine Frau will, dass er jobben geht. Bis sie den Hof schließlich verlässt.
Bohrende Trostlosigkeit in matten Farben
Uwe schlägt Hanna die Zigarette aus dem Gesicht, als sie im Stall rauchen will. Dann soll sie gehen, doch sie kniet sich in die Arbeit, auch wenn das ohne Aussicht scheint. Sie will unbedingt in dem trostlosen Kaff bleiben, treibt sich im Nachbarort auf einem Spielplatz herum, um eines der Kinder zu sehen. Es ist ihr Kind, wie sich herausstellt, das hier bei Pflegeeltern ist. Man erfährt die Dinge beiläufig, nichts wird erklärt, die Kamera hängt den Darstellern an den Fersen, zeigt nichts Überflüssiges, keinen Schnitt in die Landschaft. In den Vordergrund drängt sich die Sprache, dieser tieftönende Schwarzwald-Dialekt: Alemannisch, das nach innen spricht, irgendwie abkapselt, mehr Rückzug als Wille. Eine enge, scheinbar ausweglose Welt.
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Die Farben sind merkwürdig entsättigt, fast schon blass, die Kontraste fahl, die Geräusche sind von Filmuni-Masterstudent Vensan Mazmanyan in den Vordergrund gemischt: enervierendes Kreischen der Sägen im Wald, das Knattern des Mopeds, auf dem Hanna zu ihrem Kind in den Nachbarort oder zur Dorfkneipe flüchtet. Man möchte sich die Ohren zuhalten, die Augen schließen, vor so viel bohrender Trostlosigkeit.
Ausverkaufte Premiere - Zuschauer lachten
Wir treffen Niklas Warnecke und Adrienne Hudson in der quirligen Berlinale Lounge des Cinemaxx-Kinos. Die Premiere von „Bube Stur“ ist keine zwei Tage her. Niklas Warenecke hat den Film produziert, Adrienne Hudson hat ihn geschnitten. Für beide ist es ihr Abschluss der Filmuniversität „Konrad Wolf“ Babelsberg, der Film ist eine Koproduktion zwischen Babelsberg und der Berliner Filmhochschule Dffb, von der der Regisseur Moritz Krämer kommt. Der Film vom sturen Uwe und der sturen Hanna ist sein erster Langfilm, er läuft auf der Berlinale in der Reihe „Perspektiven Deutsches Kino“.
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Die Premiere war ausverkauft, die zwei Potsdamer Nachwuchsfilmer waren zuvor äußerst angespannt. Und dann überrascht, dass doch viel gelacht wurde. „Nicht ausgelacht, sondern mitgelacht“, erklärt Adrienne Hudson. Der eigentümliche Schwarzwald-Dialekt, der mit Untertiteln übersetzt werden muss, habe das provoziert. Für Produzent Warnecke, der sonst mit seiner 2009 gegründeten Firma Rollbergfilm Image- und Werbefilme produziert, hat der Low-Budget-Charakter den Reiz der Dreharbeiten ausgemacht. „Wenig Geld, wenig Produktionszeit, keine großen Förderer: Das hatte den Vorteil, dass wir sehr frei waren“, sagt der 33-Jährige. Es sei Prämisse gewesen, schnell zu arbeiten, mit Handkamera, ohne aufwendige Kranfahrten oder Helikopterflüge. „In diesem Sinne ist es ein Rock-’n’-Roll-Film geworden.“
Schrei nach Liebe
Eigentlich wollte man in den Frühling hinein drehen. „Doch der kam einfach nicht“, erinnert sich Warnecke. Der Winter 2013 zog sich ewig hin. „Das passte dann aber gut zu der Situation der Figuren“, sagte Adrienne Hudson. Dass Uwe und Hanna beide am Ende sind, sei durch die graue Umwelt noch unterstrichen worden. Der sehr dokumentarische Kamerastil habe dann den Charakter des Films geprägt. Ungewöhnlich war für die 28-jährige Cutterin schließlich, dass der Film mit offenem Ende gedreht wurde. „Der Schluss ist dann erst im Schnitt entstanden“, erzählt sie. Entscheidend sei dafür gewesen, dass sie selbst zum Schneiden bei den Dreharbeiten im Schwarzwald anwesend war. „Erst war es ein wenig wie im Ferienheim , dann hat sich daraus eine starke Dynamik entwickelt.“
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Hanna und Uwe müssten beide loslassen: sie von ihrem Kind, er vom Hof. Was beide aber noch nicht können. Hanna lässt sich auf der Toilette der Dorfkneipe mit dem Nachbarn ein, der Uwe den Hof abjagen will. Ein verzweifelter Schrei nach Liebe. Uwe lässt sich hängen, trinkt, bis der Gerichtsvollzieher kommt. Für beide kann es so nicht weitergehen. Die Folgen des Milchstreiks von 2008, das harte Leben auf dem Land, der ungewöhnliche Dialekt, die Langsamkeit und die sture Beharrlichkeit – das sind Dinge, die Regisseur Moritz Krämer gut kennt. 2008 hat er einen Dokumentarfilm über den Milchstreik in dem Ort gedreht, über einen Landwirt der pleitegeht, weil er der Einzige war, der aus Überzeugung die Milch seiner Kühe wegkippte. Und Krämer kennt diese Welt so gut, weil er selbst in exakt diesem Dorf aufgewachsen ist. Er weiß, was es bedeutet, in dieser engen Welt fremd zu sein, kam er doch selbst mit seinen Eltern einst als Zuzügler in den Ort.
Film kommt ohne Musik aus - fast
Das Ensemble bestand aus Laien und Schauspielern, was den Film so authentisch macht. „Ceci war die Idealbesetzung“, sagt Produzent Warnecke. Die Schauspielerin habe sehr viel von sich selbst mit eingebracht. „Sie hat eine echte Berliner Schnauze, im positiven Sinne“, sagt Warnecke. Was einen dankbaren Kontrast zum fast schon sediert wirkenden Bauern Uwe ergibt, der im echten Leben Heizungsinstallateur im Schwarzwald ist.
Die Szenen leben ohne Filmmusik, nur durch die Bilder, Dialoge und Geräusche. Wie ein Dokumentarfilm bleibt er dicht an den Figuren. Bis ganz unverhofft ein lebensfroher Song zu hören ist. Dabei sehen wir Uwe und Hanna, wie sie langsam von ihren Lasten loslassen. Doch schon fällt der Vorhang. Im Abspann hört man immer wieder die Songzeilen „Ja, ich will, oh ich will ...“ Uwe und Hanna sind nun diejenigen, die die Dinge in der Hand haben. Vor den beiden liegt eine neue Verantwortung. Was sie daraus machen, erfahren wir nicht. Aber der Optimismus des Songs zeigt eine mögliche Richtung. „Das trifft für mich das lebensbejahende Gefühl, das ich Hanna und Uwe wünsche“, sagt Regisseur Moritz Krämer. „Unser Film geht da weiter, wo Filme mit Happy End aufhören“, meint Produzent Warnecke. „Im wirklichen Leben läuft vieles eben anders.“
Hintergrund: Die Filmuniversität auf der Berlinale Von der Babelsberger Filmuniversität sind noch viele weitere Absolventen, Dozenten und Studenten auf der Berlinale unterwegs, nicht nur Altmeister Andreas Dresen (Regie-Absolvent) mit seinem Wettbewerbsfilm „Als wir träumten“ (Kamera: Filmuni-Professor Michael Hammon). In der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ ist neben „Bube Stur“ auch das Drama „Wanja“ zu sehen, das Antonella Sarubbi (Montage im 5. Semester) geschnitten hat. Filmuni-Professorin Angelina Maccarone sitzt in der Perspektive-Jury. Ihr Langfilmdebüt „Bamboule“ haben die Filmuni-Studenten Simon Ostermann (Regie) und Seraina Nyikos (Drehbuch) der Filmwirtschaft präsentiert. Kix
Jetzt sind sich die beiden Nachwuchsfilmer sicher, dass ihr Film in der Berlinale-Reihe „Perspektive“ auch einen Preis erhält. Danach wollen sie ihre Idee vom Filmemachen konsequent weiterverfolgen. Warnecke will Animationsspielfilme für Erwachsene produzieren, wovon es aus Deutschland bislang nur wenige gibt. Seine Kommilitonin arbeitet bereits an ihrem Wunschprojekt. Sie schneidet einen Dokumentarfilm über eine religiöse Sekte in Sibirien. Diesmal aber nicht vor Ort: „Das war mir dann doch etwas zu unbehaglich.“
„Bube Stur“ ist am 18. Februar um 17 Uhr als „Berlinale Spotlight“ im Potsdamer Filmmuseum, Breite Straße, zu sehen.
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