Landeshauptstadt: Bedrückende Stillleben
Wie sah sie aus, die Grenze, die Babelsberg von Wannsee trennte? Die Naumann-Stiftung zeigt dazu Fotos von Klaus Fahlbusch
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Fotografie, das sei auch immer politisch bedeutsam. „Denn der Fotograf kann als Einzelner, ohne großes Drehteam und mit vergleichsweise wenig Equipment, überall hin, ohne großes Aufsehen zu erregen.“ Was der Schriftsteller Lutz Rathenow bei der Vernissage der Ausstellung „Grenzgebiet Babelsberg / Wannsee“ am gestrigen Montag sagte, das passte damals, kurz nach dem 9. November 1989, genau zu Klaus Fahlbusch. Der Fotograf, Babelsberger seit Mitte der 80er-Jahre, machte in jenen Nachwende-Monaten 1989/1990 Tausende Fotos im Grenzgebiet zwischen Babelsberg und Wannsee. Ein Schatz.
Auf nicht wenigen sind die Anspannung und Unsicherheit des Fotografen, der sich häufig auf noch verbotenem Terrain bewegte, und der damaligen Bewacher dieser Grenzanlagen spürbar. Aber er hat es gemacht, ist losgezogen, vorbei an den „Betreten Verboten“-Schildern, wie sie auch am Griebnitzsee standen, auch vor der Truman-Villa, heute Sitz der Naumann-Stiftung. Hat an der täglich durchlässiger werdenden, bröckelnden Grenze fotografiert, während es viele seiner Freunde lieber in Berliner Kaufhäuser zog, so Fahlbusch.
Manchmal war auch Andreas Höfer dabei, damals Student der Filmhochschule Babelsberg. „Wir wollten das alles noch mal dokumentieren“, so Höfer, heute Kameramann von Andreas Dresen. Lothar Bisky, damals Direktor der Filmhochschule, habe seine Studenten angetrieben. „Leute, ihr müsst das fotografieren, das ist Zeitgeschichte“, erinnerte sich Fahlbusch. Er ahnte: Dieser Zeitkorridor, in welchem die fast originalen Grenzanlagen noch erhalten waren, während eine vorsichtige Öffnung begann, der war kurz. Im Sommer ging es dann ganz schnell, waren die Ruinen dieser Grenze innerhalb weniger Wochen verschwunden.
Was die Babelsberger mehr als ein Vierteljahrhundert oft genau vor der eigenen Haustür hatten, das zeigen mehr als 50 Bilder. Schwarz-weiß, wie damals üblich, sind sie Kunst und politisches Zeitdokument zugleich. Und trotz so mancher Wende-Ausstellung in diesem Herbst absolut sehenswert.
Bis 1989 kannte man die Mauer nur aus West-Perspektive, sagt Hagen Immel, Babelsberger und ebenfalls Fotograf. Die ganze Welt habe bis 1989 mit dem Begriff Mauer zumeist Touristen vor einem graffiti-bunten Hintergrund verbunden. Mit solchen Fotos wie von Fahlbusch werde das Bild zurechtgerückt. Rathenow kritisierte auch die gängige Wortwahl: Diese Anlage als simple Mauer zu bezeichnen, das habe verharmlosend gewirkt. „Aber das waren Grenzbefestigungsanlagen mit tödlichen Folgen für die, die sie ignorierten“, so der Schriftsteller.
Wie nüchterne Bausätze aus Katalogseiten lassen sich manche Fotos deuten: mit Grenzabschnitten, wahlweise Zäune mit geharktem Sand dazwischen, mit Laufleinen und Hütten für Hunde, mit einem Asphaltweg; daneben der Blick aus einem Wachturm, durch verdreckte Scheiben hinunter auf die Havel zwischen Babelsberger Park und Wannsee. Und dann im Park selbst brutale Schneisen inmitten der Ufervegetation, das Wasser gesiebt von Zaunanlagen.
„Man ist da nie hingegangen, wir haben das Gebiet ausgeblendet, es existierte nicht“, sagte Immel. Viele Straßen in Babelsberg endeten im Nichts: eben noch Häuser mit gepflegten Vorgärten und Mülltonnen an der Straße – plötzlich tödlicher Zaun. Zwei Frauen beim Schwatz auf dem Gehweg zeigen die Absurdität dieser Normalität am Ende der Welt.
Viele der etwa 200 Gäste suchten in den Fotos Orientierung, verglichen Motiv und Stadtplan. Manchmal ist selbst unklar, aus welcher Richtung man blickt. Eng und zerschnitten ist die Welt im Grenzgebiet. Hinter einer mannshohen Mauer kauert ein Klein Glienicker Einfamilienhaus. Wo sich heute Neubauten des Hasso Plattner Instituts befinden, stehen riesige Baracken im Niemandsland, ein ausgewaschenes Rot-Kreuz-Logo am Giebel. Der Bahnhof Griebnitzsee authentisch und wiedererkennbar – damals stillgelegt, heute unverzichtbar für Studenten und Wissenschaftler. Neben diesen bedrückenden „Stillleben“, wie Rathenow sagt, hängen Aufnahmen, die den Umbruch zeigen. Nachbarn schauen durch erste Mauerlöcher, Grenzer passen noch auf. Quer über der Neuen Kreisstraße, Verlängerung der Breitscheid-Straße, ein Banner: „Kohlhasenbrück grüsst die Nachbarn aus Babelsberg“. Freude und Tragik zugleich in dieser Formulierung, die so lange undenkbar gewesen war und unausgesprochen blieb.
Der Montagabend in der „Friedrich-Naumann-Stiftung Für die Freiheit“ geriet zu einem Nachbarschaftstreffen von alten und neuen Anwohnern, ehemaligen Studenten der Filmhochschule, damals in den Villen nahe dem Grenzgebiet untergebracht. Menschen, die hier lebten oder arbeiteten – auf beiden Seiten – suchten Erinnerung. Auch der Linke-Politiker Sascha Krämer, dessen Vater in der DDR an der Akademie für Staat und Recht in Babelsberg lehrte.
„Erschreckend, diese Dimension. wenn der Blick von oben auf die Grenze fällt“, sagte ein Besucher nach der Vernissage. Ein kleines Mädchen hingegen schaute mit naiv-kindlichem Blick: „ So klein war die?“ Neue, überraschende Interpretationen nach 25 Jahren.
Zu sehen bis zum 17. Februar, Montag bis Freitag 17 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag 10 bis 18 Uhr. Gruppen und Schulklassen nach Absprache auch zu anderen Zeiten willkommen. Friedrich-Naumann-Stiftung, Karl-Marx-Str. 2
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