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Hartnäckig. Für seine Recherchen hat der Historiker Neuland betreten.

© M. Thomas

Landeshauptstadt: Beharrlich und gewitzt

Jan Philipp Wölbern erhält den Potsdamer Nachwuchsforscherpreis für Arbeit über DDR-Häftlingsfreikauf

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Oberbürgermeister Jann Jakobs kam wegen einer Bombenentschärfung zu spät zur Jury-Sitzung Ende September. Doch die Entscheidung für den 7. Potsdamer Nachwuchswissenschaftlerpreis war ohnehin schon gefallen, und zwar einstimmig. Die Promotion von Jan Philipp Wölbern über den Freikauf von politischen Häftlingen aus der DDR 1962 bis 89 hatte sofort überzeugt. 500 Seiten hat der 33-jährige Historiker jenen 33 000 Häftlingen gewidmet, die im besagten Zeitraum vom Westen aus der DDR freigekauft wurden. Mit der Bestnote summa cum laude war die Arbeit „Zwischen Menschenhandel und humanitären Aktionen. Der Häftlingsfreikauf aus der DDR. 1962/1963-1989“ benotet worden. Sie war am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) und der Uni Potsdam bei Doktorvater Martin Sabrow (ZZF-Direktor) entstanden.

Der Freikauf politischer Häftlinge war ein stets geheimnisumwittertes Thema. In Ost wie West wollte man die Vorgänge verschleiern. Im Osten stand man im Spannungsverhältnis zwischen dem Verrat von Prinzipien und der Sicherung der Herrschaft. Im Westen pendelte man mit den Aktionen zwischen Schwächung der DDR und Stützung einer Diktatur.

Der aus Marburg stammende Jan Philipp Wölbern hat sich nach Ansicht seiner ZZF-Kollegen bei schmaler Quellenlage mit beharrlicher Recherche und methodischer Gewitztheit in das bislang dunkel liegende und höchst widersprüchliche Feld des Häftlingsfreikaufs eingearbeitet. Mit erstaunlichen Ergebnissen. Bereits während seiner Arbeit in den Archiven wurden seine Thesen leidenschaftlich diskutiert. Schließlich kommt er zu einigen Neubewertungen, die Historikerkollegen zu Debatten herausforderten. Denn nach seinen Erkenntnissen nahm der Freikaufhandel nicht wie bislang angenommen nach Mauerbau durch humanitäre Aktivitäten der Evangelischen Kirche seinen Ausgang. Vielmehr sei die Initiative vom Osten ausgegangen, es sei von Anfang an das Ziel der DDR gewesen, mithilfe des Menschenhandels an Devisen zu kommen. Ein zweites Ziel war es, sich durch die Abschiebung missliebiger Personen des Protestpotenzials zu entledigen.

Insgesamt spielte der ostdeutsche Staat auf diesem Wege über drei Milliarden D-Mark ein. In der ersten Phase ab 1962, auch das ein Ergebnis Wölberns, verblieben noch über 40 Prozent der Freigekauften in der DDR. Viele von ihnen wussten nicht einmal, dass sie zum Spielball der Mächte geworden waren. In Recherche-Interviews mit dem Potsdamer Historiker erfuhren einige zum ersten Mal, wieso sie damals vorzeitig aus der Haft entlassen worden waren.

In einer zweiten Phase ab 1973/74 nahm das Geschäft mit den Häftlingen erheblich an Fahrt auf. In den folgenden Jahren wurden bis zu 1000 Häftlinge in Bussen von Chemnitz nach Gießen gebracht. Herbert Wehner hatte sich in den Ost-West-Transfer eingeschaltet, die Bilder seines Besuchs bei Erich Honecker gingen durch die Medien. Letztlich ging der Wunsch nach Entsorgung von missliebigen DDR-Bürgern im Westen für den Osten aber nach hinten los. Und auch mit dieser Erkenntnis betritt der Potsdamer Preisträger Neuland. Seine Kollegen sprechen sogar davon, dass er ein neues Kapitel DDR-Geschichte geschrieben habe. „Der Freikauf war mit eine Ursache dafür, dass die DDR in den 80er-Jahren in eine Existenzkrise geriet“, so Wölbern.

Die Geldgeschäfte mit Menschen erwiesen sich letztlich als kontraproduktiv. Denn der Menschenhandel hatte für die DDR erhebliche Rückwirkungen. Wölbern spricht von einem Erosionsprozess im Repressionsapparat des totalitären Staates. In den Archiven finden sich Berichte über Beschwerden von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bei ihrem Chef Erich Mielke. Sie sahen den eigentlichen Sinn ihrer Aufgabe ad absurdum geführt, sollten sie doch dafür sorgen, dass DDR-Bürger nicht in den Westen ausreisen wollten. Nun trieben sie sie dem Klassenfeind in die Hände. Manch ein MfSler fühlte sich gar als Ausreiseberater. In den 80er-Jahren ließen sich DDR-Bürger sogar vorsätzlich verhaften, weil sie so schneller aus dem Land kamen, als mit einem langwierigen Ausreiseverfahren. Eine Demoralisierung im Repressionsapparat war die Folge, mancher Hardliner verlor den Glauben an die Sache. Doch Mielke verteidigte die Devisenquelle mit Blick auf die Abgeschobenen: „Was soll der denn hier sitzen und frisst hier bei uns! Warum sollen wir den nicht wegjagen? Weil ich ökonomisch denke für unsere Republik!“

Die Promotion zu dem zwiespältigen Häftlingsgeschäften ist die erste geisteswissenschaftliche Arbeit, für die der Potsdamer Nachwuchswissenschaftlerpreis vergeben wird. Die Arbeit soll ab Frühjahr 2014 unter ähnlichem Titel auf dem Buchmarkt erscheinen. Jan Philipp Wölbern wird der Preis im Rahmen des Einstein-Tages am Freitagabend im Nikolaisaal verliehen. Seine Arbeit sei zu einem Großteil auch der Unterstützung der Kollegen vom ZZF zu verdanken, betont er. „Wie sagt man so schön, man steht auf den Schultern von Riesen“, sagte der Historiker.

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