Sport: „Bei Sportfesten gibt es überhaupt keine Berührungsängste“
Für Ralf Paulo, Landestrainer für paralympische Leichtathletik, sind Leistungen behinderter und nicht-behinderter Sportler vergleichbar
Stand:
Herr Paulo, was bedeutet es für die deutsche Leichtathletik und den Sport im Allgemeinen, dass der behinderte Weitspringer Markus Rehm am vergangenen Samstag gegen nicht-behinderte Konkurrenz Deutscher Meister gegeworden ist?
Dass damit eine neue Zeitrechnung beginnt, ist vielleicht übertrieben. Aber es ist schon ein deutlicher Fingerzeig, was im Behindertensport möglich ist. Wir als Insider wissen das schon länger, dass behinderte Sportler konkurrenzfähig sind. Markus Rehm hat jetzt allen gezeigt, was mit intensivem, akribischen Training möglich ist. Er ist natürlich eine absolute Ausnahmeerscheinung. Behinderte Weitspringer in seiner Klasse springen anderthalb Meter weniger.
Fürchten Sie, dass sich die Diskussion darauf reduziert, ob eine Prothese wie bei Markus Rehm eine Wettbewerbsverzerrung darstellt?
Es ist schade, dass erst jetzt darüber diskutiert wird, ob das nun ein Vorteil ist oder nicht. Der Deutsche Leichtathletikverband hätte aber schon im vergangenen Jahr reagieren können, als Rehm 7,95 Meter gesprungen ist. Fakt ist, dass er durch die Prothese im Anlauf gegenüber anderen Springern einen Nachteil hat und nicht so hohe Geschwindigkeiten erreichen kann. Das muss man erst mal so gut koordinieren können am Absprung. Ich denke, dass beim Zusammenwirken aller Faktoren die Leistung vergleichbar ist mit einem nicht-behinderten Sportler.
Wie viele behinderte Leichtathtleten, die regelmäßigan Wettkämpfen teilnehmen, gibt es in Brandenburg?
Im Landes-Kader haben wir rund 20 Leichtathtleten, die bekanntesten sind die Werferinnen Martina Willing und Frances Herrmann, die schon internationale Medaillen gewonnen haben. Insgesamt sind es circa 30 Athleten, die Richtung Leistungssport gehen.
Welche Wettkampfmöglichkeiten haben diese Sportler in Brandenburg, wie gut ist die Integration in ganz allgemeine Sportveranstaltungen?
Wir bringen uns in normale Leichtathletikverstandltungen ein, bei denen behinderte Sportler in den normalen Teilnehmerfeldern starten. Manchmal starten sie in einer anderen Altersklasse, sodass das Leistungsniveau in etwa passt. Gerade bei kleineren Sportfesten gibt es da überhaupt keine Berührungsängste.
Können Sie sich vorstellen, dass die Leistung von Weitspringer Rehm und die dadurch erreichte Öffentlichkeit behinderte Menschen motiviert und ermutigt, ebenfalls Sport zu treiben und sogar Erfolg zu suchen?
Ich würde mich freuen, wenn es Menschen mit Handicap Mut macht, sich auszuprobieren. Man sieht ja, was man erreichen kann. Ich hoffe schon, dass die Leute den Weg zu uns finden.
Und wenn Sie den Weg finden – wie gut ist das Land Brandenburg aufgestellt, um mit gutem Training und Expertise dem Behindertensport gerecht zu werden?
Im Bundesvergleich sind wir sehr gut aufgestellt. Aber wir sind noch lange nicht zufrieden.Das Problem ist das Personal: Bis 2010 war ich der einzige hauptamtliche Trainer im Land, mittlerweile haben wir in Potsdam Dörte Paschke als Schwimmtrainerin und in Cottbus noch eine 30-Stunden-Stelle. In Cottbus und Potsdam haben wir zwei anerkannte Bundesstützpunkte, die gute Möglichkeiten bieten.
Sind die Sportstätten in Brandenburg ausreichend behindertengerecht?
Da gibt es definitiv Nachholbedarf, aber es wird auch viel gemacht, vor allem an den beiden Stützpunkten. Wir sind natürlich noch lange nicht da, wo wir hinwollen. Aber es ist ein langer Weg, um alle Sportstätten barrierefrei zu gestalten, sodass dort jeder Sport treiben kann. Wir können aber auch nicht alle Sportarten anbieten und konzentrieren uns bei der Förderung auf Schwimmen, Leichtathletik, Radsport und Reiten mit Handicap. Künftig wird noch Kanu dazukommen, wo Brandenburg ja eine große Tradition hat und was 2016 paralympisch wird.
Ralf Paulo (59), ist seit 1992 Landestrainer in Brandenburg für Behindertensport und seit zwei Jahren Cheftrainer am paralympischen Trainingsstützpunkt der Leichtathletik in Cottbus
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