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Landeshauptstadt: Besser verstehen

In der Türk-Schule lernen Kinder mit Hörbehinderung – das soll auch so bleiben, trotz Inklusion

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Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Schulhofleben der Wilhelm-von-Türk-Schule nicht von anderen Grund- oder Oberschulen. Auf den zweiten Blick fällt auf, dass auf dem Sportplatz, wo in der Pause eine gemischte Jungenmannschaft Fußball spielt, kleinere Kinder Rollerrennen fahren und ältere Mädchen sich altersgemäß zurückhalten, eine untypische mittlere Lautstärke herrscht. Natürlich wird hier auch mal gerufen, gelacht und Krach gemacht, aber im Grunde wissen alle Schüler und Lehrer der Schule für Kinder mit Sprach- und Hörbehinderung: Schreien hilft nicht. Wer verstanden werden will, muss laut und deutlich sprechen und den Adressaten anschauen.

Die Schule am Bisamkiez ist die einzige im Land Brandenburg mit dem Förderschwerpunkt Hören. Derzeit lernen hier 176 Kinder von der ersten bis zur zehnten Klasse aus ganz Brandenburg, das Wohnheim befindet sich nebenan. Nach der sechsten Klasse kann man an ein Gymnasium wechseln oder bis zur Zehnten bleiben und dann eine Berufsausbildung beginnen. 35 Sonderpädagogen unterrichten hier, darunter ein gehörloser Lehrer sowie eine ehemalige Schülerin. Alle können in Gebärdensprache kommunizieren oder unterrichten diese als Fach.

Am vergangenen Freitag wurden wieder zwölf Erstklässler eingeschult. Eine verhältnismäßig große Gruppe. Schulleiterin Uta Kapp sagt, die Türk-Schule wird gebraucht. Auch das Land sagt, eine Schließung der Förderschulen für Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen stehe, trotz des beginnenden Aufbaus der Inklusionsschulen, derzeit nicht zur Debatte. Laut Gesetz haben Eltern Wahlrecht, was die Schule für ihre Kinder betrifft.

Familie Zander-Tabbert ist extra wegen der Türk-Schule von Berlin nach Potsdam gezogen, damit ihre beiden Kinder, acht und zehn Jahre alt und mit Gebärdensprache als Primärsprache aufgewachsen, hier zur Schule gehen können. „Natürlich ist es immer schön, die Schule gleich um die Ecke besuchen zu können. Aber wenn diese nicht auf die speziellen Anforderungen der Kinder eingestellt ist, macht das keinen Sinn“, sagt Dina Zander-Tabbert. Kinder mit Hörbehinderung seien eben eine „sehr spezielle Klientel“, sagt die Elternsprecherin.

Auch Schulleiterin Kapp, die selbst Hörgeschädigten- und Lernbehindertenpädagogik studiert hat, findet, dass man so eine Behinderung nicht einfach mit einem Funkmikrofon und gutem Willen kompensieren kann. Dazu brauche es mehr: Von Auslegware in den Fluren bis hin zu spezieller Didaktik. „Solange das Verständnis für die Kompaktheit der Behinderung fehlt, kann das Kind in einem normalen Umfeld nicht adäquat betreut werden“, ist sie überzeugt. An der Türk-Schule wird Gebärdensprache als Schulfach unterrichtet, sehr wichtig für die Kinder, die mit dieser Sprache quasi als Muttersprache aufwachsen. Dazu kommen Hörgeschädigtenkunde, Technik und Rechtskunde. Eine Regelschule könne das nicht leisten. Und auch nicht die neuen Pilotschulen, befürchtet Kapp – gleichwohl manche Kinder vom gemeinsamen Unterricht an diesen durchaus profitieren würden. Letztlich werde aber oft unterschätzt, dass Kinder eine Bezugsgruppe mit ihresgleichen brauchen. Also Freunde, die man nicht ständig bitten müsse, einmal Gesagtes wegen Verständigungsproblemen dreimal zu wiederholen. „Das nervt. Inklusion bedeutet vielleicht auch, als eine Gruppe akzeptiert zu werden – Sportler sind ja auch mal gern unter sich“, sagt Kapp.

Jonas Marok erlebt gerade, wie sich das anfühlt. Der Siebtklässler gehört streng genommen auch zu den Einschülern. Denn bis zur sechsten Klasse lernte er mit 24 anderen Kindern in einer Klasse an der Grundschule am Pappelhain. „Das war so – na ja“, sagt er rückblickend. Dabei hatte man sich durchaus bemüht, der Hörbehinderung des Jungen Rechnung zu tragen. Die Lehrerin bekam ein Funkmikrofon, das sei perfekt gewesen, sagt Jonas. Bis es eines Tages kaputtgegangen sei. Natürlich habe er Freunde gehabt, aber wenn die ihn nicht verstanden, das fand er „ein bisschen doof“. Hier sind es nur zehn Kinder in einer Klasse, der Lehrer spricht laut und deutlich. „Wir verstehen uns viel besser“, sagt Jonas.

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