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Landeshauptstadt: Bild eines Unglücks

Für die ZDF-Verfilmung „Die Gustloff“ ließen Potsdamer das Schwimmbad an Bord noch einmal untergehen

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Es dauert nur Sekunden: 3000 Liter Wasser brechen über den zwei mal zwei Meter fünfzig großen Kasten herein – und die liebevolle Arbeit von Wochen verschwindet im Fluten-Chaos. „Das ist immer ein bisschen traurig“, sagt Modellbauerin Marion Fleischer, „aber man stellt es ja schließlich dafür her.“ Mit nachgestellten Katastrophen verdient sie ihr täglich Brot: Häuser, die in die Luft gesprengt oder unter Wasser gesetzt werden sollen oder deren Dächer ein Wirbelsturm entblättert. Von Marion Fleischers Arbeiten bleibt nicht viel mehr übrig als das auf Zelluloid gebannte Bild eines Unglücks: „Man gewöhnt sich daran“, sagt die 46-Jährige. Vom Bordschwimmbad der „Wilhelm Gustloff“ konnte sie immerhin eine Tür retten. Die heftgroße weiße Holzplatte steht in ihrer Werkstatt in Kienwerder auf dem Regal.

Gebaut wurde sie für die Verfilmung des Untergangs des Kreuzfahrschiffes der NSDAP-Organisation „Kraft durch Freude“. Am 30. Januar jährt sich die Katastrophe, bei der etwa 9000 Menschen ihr Leben verloren, zum 63. Mal (siehe Kasten). Regisseur Joseph Vilsmaier (Schlafes Bruder, Comedian Harmonists) hatte sich im vergangenen Jahr der Geschichte angenommen. Premiere feierte der Film gestern Abend: Die ZDF-UFA-Produktion wurde in einer Sondervorstellung für den Bundestag gezeigt. Im ZDF wird der Zweiteiler mit Kai Wiesinger und Heinz Lauterbach am 2. und 3. März ausgestrahlt.

Die Dreharbeiten in Potsdam liegen indes schon ein halbes Jahr zurück: Den Tag, an dem die Modellbauerin mit den Tricktechnikern der Nefzer Babelsberg GmbH und den Computerspezialisten von Exozet Effects Babelsberg zur „Wässerung“ an den Teltow-Kanal fuhr, hat sie so schnell allerdings nicht vergessen: 35 Grad war es warm, „der heißeste Tag des Sommers“, erinnert sie sich. Durch die Hitze verzogen sich die Wände des Bad-Modells im Maßstab eins zu fünf bereits. In einer umständlichen Konstruktion wurde das Modell dort unter einer Rampe aufgebaut. Aus einer Baggerschaufel sollen dann die Wassermassen darüber geschüttet werden.

Sollbruchstellen hatte die Modellbauerin allerdings vorher schon festgelegt: Wie ein Puzzle wurden die Gipskartonteile an dem gewünschten Einbruchsloch zusammengesetzt. Vier Wochen hatte sie an dem Modell gearbeitet: Mini-Lampen, Mini-Türklinken, Mini-Fliesen mussten her. Eine Bastelarbeit, für die viel Fantasie gefragt ist. Gleichzeitig entstand eine Kopie des Pools in Originalgröße – in einer Halle des Flughafens Tempelhof: Dort wurden die Menschen gefilmt, die im Film den Pool bevölkern. Denn realisiert wurde die Szene als Mischung von konventioneller Tricktechnik und digitaler Bildbearbeitung. Dass überhaupt Potsdamer an der UFA-Verfilmung beteiligt waren, dafür hat Marion Fleischers Mann, der Produzent Uwe Fleischer, gesorgt. Dabei dürfte auch der gute Draht zum Szenenbildner des Films – dem Potsdamer HFF-Professor Lothar Holler – eine Rolle gespielt haben.

Spannung noch einmal am Teltow-Kanal: Das Wasser ist in der Schaufel, das Bad-Modell in Position, die Kamera läuft. „Aber wir wussten nicht, was das Wasser wirklich anrichtet“, erklärt Marion Fleischer. Diese Unsicherheit gibt es bei jedem Projekt wieder: „Man will ja auch, dass der Effekt gut aussieht.“ Die ersten Bilder der Überflutung überzeugen zwar. Perfekt sind sie noch nicht.

Dafür sorgt das Team von Exozet: Fünf „digital artists“ sitzen noch einmal wochenlang vor den Rechnern. Dabei werden nicht nur die Realaufnahmen mit den Modellaufnahmen kombiniert, erklärt Exozet-Chef Olaf Skrzipczyk. So schön die hereinbrechenden Wasserfluten zunächst aussehen: Weil sie zu großformatig sind, wirken sie auf dem Bildschirm wie „gel-artige Tropfen“, stellt Computerspezialist Nhat Quang Tran schnell fest. Die Struktur des Wassers muss digital verkleinert werden. Zusätzlich wird die Glasdecke des Bades herausgenommen und komplett digital ersetzt: Das vom Wasser zerschlagene Glas muss Splitter für Splitter digital animiert werden. Spezielle Computerprogramme sorgen dafür, dass sich die Animation nach den Gesetzen der Physik verhält. „Das ist viel mehr, als der Zuschauer in zwei Sekunden sehen kann“, sagt Skrzipczyk: Aber die Szene soll auch im Einzelbild optimal stimmen: „Wir arbeiten für die DVD-Freaks, die sich den Film Bild für Bild angucken.“

Das Gefühl fürs Gesamte geht bei solch mühsamer Kleinarbeit aber nicht verloren, betont Nhat Quang Tran. Eher im Gegenteil: „Es muss realistisch aussehen, damit eine emotionale Reaktion hervorgerufen wird“, erklärt er. Die Szene mit der Überflutung des Bordschwimmbads sei „ein sehr kritischer Moment“ im Film. „Das ist schließlich eine große Tragödie, die passiert ist“, sagt der Computerspezialist über den Gustloff-Untergang. „Dass das vorher überhaupt kein Forum hatte, ist erstaunlich“, meint Marion Fleischer über die „Gustloff“. Erst bei den Recherchen für ihre Arbeit wurden ihr die Dimensionen des Unglücks bewusst.

Die wochenlange Arbeit, die die Potsdamer in die Überflutungsszene gesteckt haben, macht in der Endfassung des Films nur wenige Sekunden aus: Marion Fleischer hat sich trotzdem vorgenommen, im März den Fernseher einzuschalten: „Es ist immer eine Überraschung, zu sehen, was geblieben ist“, sagt sie.

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