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Homepage: Brandenburgs Indianer

Eine Ringvorlesung der Uni will zukünftigen Lehrern die Geschichte der Sorben näher bringen – ohne viel Resonanz

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Wenn es in der Schule um Minderheiten geht, wird über Indianer oder Armenier gesprochen. Dabei hat Brandenburg seine eigene Minderheit: die Sorben. Nur wissen das viele Lehrer nicht. Martin Neumann kommt sich ein bisschen vor wie ein Kämpfer für Gerechtigkeit. So wie einer, der sich für die Indianer ins Zeug legt, die von den weißen Siedlern in enge Reservate verdrängt wurden. Ein bisschen ist das auch so. Nur, dass seine Indianer nicht in Amerika leben, sondern ein wenige Autostunden südöstlich von Potsdam. Die Sorben sind eine westslawisches Volk, das seit Jahrhunderten in der Lausitz lebt.

Martin Neumann studiert Lehramt an der Universität Potsdam und ist im Zentrum für Lehrerbildung aktiv. Von den Sorben hat er zum ersten Mal im Studium gehört. Es gab in Potsdam ein Sorbisch-Aufbaustudium für Lehrer aus der Lausitz. Seit 2002 aber ist der Fachbereich verschwunden – er wurde weggespart. Damit nun nicht alles Sorbische mit verschwindet, organisiert Neumann in diesem Jahr zum zweiten Mal die Ringvorlesung „Sorben in Brandenburg“. Sorbische Referenten halten Vorträge über sorbische Geschichte, Musik, Kunst, Kultur und Bräuche. Kürzlich war Madlena Norbergowa, die einstige Sorbisch-Dozentin der Uni Potsdam, zu Gast und sprach über die Geschichte der Sorben, darüber, dass das kleine Volk dem großen Volk im Land so unbekannt ist, dass es Gefahr läuft, seine Sprache zu verlieren. Und darüber, wie sie mit Lehrerbildung und dem Witaj-Sprachprojekt in Kindergärten und Schulen das Sorbische wieder ins Bewusstsein zu rücken versucht. Bei den Sorben und auch bei den Deutschen.

Die zukünftigen Lehrer, für die laut Schulgesetz und Rahmenplan das Vermitteln sorbischer Identität, Kultur und Geschichte zu den besonderen Aufgaben gehört, fehlen an diesem Tag. Die Ringvorlesung ist fakultativ. Und auch im Lehrerbildungsgesetz und in der Studienordnung sind Sorben kein Thema. So verteilen sich nur rund 20 Studenten in der Vorlesung von Madlena Norbergowa. Etwa so viel wie in der vorausgegangenen Veranstaltung. Die meisten von ihnen wollen Lehrer werden. Eine Humangeoeolge ist dabei, der das Thema Minderheiten spannend findet. Michael Neumann muss feststellen, dass das Interesse an der Vorlesung nicht besonders groß ist. Er hat aber auch nicht mehr Zuhörer erwartet. „Wer kennt schon die Sorben?“ Dass er aber bei der Uni-Leitung keinen Cent für die Veranstaltungsreihe locker machen konnte, hat er allerdings nicht erwartet. Die geringen Kosten für die Anreisen der Dozenten haben dann die Kulturministerien von Bund und Land übernommen.

Wenigsten hier gebe es noch Unterstützung für ihr Volk, sagt Madlena Norbergowa. Sie steht hinter dem Rednertisch, blickt in den Saal, als würden sich vor ihrem Auge gerade düstere Bilder zur Zukunft des sorbischen Volkes abspielen: Die Lausitz so leer wie die Stuhlreihen, die Sorben assimilierte Deutschsprachler, die Trachten von Motten zerfressen, die bekannten Kunst-Ostereier nur noch eine Touristenattraktion. Keine Kinder mehr, die etwas über sorbische Kultur wissen, die sorbischen Helden kennen, sorbische Literatur lesen, Musik oder Kunst genießen. Eine Welt, der eine Farbe fehlt, die plötzlich ein Stück mehr Einheitsgrau geworden ist. Ein Szenario, das aber nicht ganz aus der Luft gegriffen wäre: Um das Jahr 1800 lebten noch eine Viertelmillion Sorben in der Region, inzwischen fühlen sich noch rund 67 000 Menschen als Sorben, schätzt das Land. Genaue Zählungen gibt es nicht. Sorbisch sprechen nur noch Wenige.

Die Dozentin projiziert Gründe für die langsame aber sichere Schrumpfung an die Wand. Minderheitenschutz ist nicht mehr im Grundgesetz verankert wie in der Weimarer Verfassung, sondern Ländersache, liest sie vor. Der Sorbenrat, in dem sie selbst Mitglied ist, habe kein Rederecht im Landtag, es gebe zu wenig Mitbestimmung. Viel Sorben wandern ab, wie andere Bewohner der Lausitz auch, um zu studieren und Arbeit zu finden. Dazu kommt der Kohleabbau, der die Siedlungsgebiete zerstückelt. „Horno“ sei so ein Beispiel. Ganze sorbische Dörfer würden von der Landkarte getilgt. Überhaupt wisse die Mehrheit zu wenig über die Minderheit vor der Haustür. Sie kritisiert aber auch das kleine Volk selbst. „Schwache aktive Identität der Sorben“ steht da an der Wand. Um nicht von der Mehrheit geschluckt zu werden, brauche die Minderheit mehr Selbstbewusstsein. „Es ist leichter, sich anzupassen und wie die anderen zu sein“, sagt die Dozentin.

Sie will lieber bunt als grau. Deshalb setzt sich Madlena Norbergowa so für das Sprachlernprojekt Witaj ein und damit für eine Revitalisierung der Sprache, die Grundlage für die Kultur sei. Das Interesse an dem Projekt wächst, sagt sie. Immer mehr Kinder in der Lausitz würden wieder Sorbisch lernen, sogar deutsche Schüler nähmen an dem Unterricht teil. Es gibt inzwischen gutes Lehrmaterial. Und es wird an weiterführendem Material gearbeitet. Und an Handreichungen für Lehrer, die dann beim Thema Minderheiten nicht nur auf Informationen über Armenier in der Türkei oder Indianer in den USA zurückgreifen müssen, sondern auch ausreichend Material auf dem Schreibtisch haben, um über Sorben in der Lausitz zu berichten.

Madlena Norbergowas Ideen, wie das Sorbische wieder Kulturgut werden kann, müssen aber vorerst in der Schublade bleiben. An der Uni Potsdam zumindest hat sie kaum Chancen, sie zu verwirklichen. Schon die nächste Reihe der Ringvorlesung ist fraglich. Martin Neumann steht kurz vor dem Examen. Er hat im nächsten Jahr keine Zeit, Fördergelder einzutreiben oder Referenten nach Potsdam zu holen. Einen Nachfolger, der sich für die Sorben interessiert, gibt es noch nicht.

Die Sorben/Wenden in Brandenburg: „Die sorbische/wendische Musik“, heute um 17 Uhr, Referentin Prof. Dr. Kathinka Rebling (Fachhochschule Lausitz), Uni-Campus Golm, Karl-Liebknecht-Straße 24-25, Haus 10, Raum 025.

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