
© Manfred Thomas
Homepage: Brutausfälle erwartet
Umweltwissenschaftler warnen davor, dass der Einsatz des Insektizids „Dipel ES“ vielen Vogelarten die Nahrungsgrundlage entziehen könnte – gerade in der Zeit, in der sie ihren Nachwuchs füttern
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„Es war ein ganz sonderbarer Anblick“, berichtet Dieter Wallschläger. Einen Tag nach der Sprühaktion gegen den Eichenprozessionsspinner fand er zwei Mandarinenten, die unweit des Parks Sanssouci in einer Straßenpfütze badeten. Üblicherweise baden die Enten auf einem See oder Fluss. Als Ursache für dieses seltsame Verhalten vermutet der emeritierte Professor für Ornithologie und Verhaltensbiologie an der Universität Potsdam den Sprüheinsatz gegen den Eichenprozessionsspinner mit Hubschraubern. Dadurch waren die Tiere vermutlich gestresst und seien aus dem Park geflüchtet, vermutet der Wissenschaftler. Dass sich die Tiere so verhielten, weil sie von dem Insektizid getroffen wurden, hält Wallschläger allerdings für nicht sehr wahrscheinlich. Das Problem für Vögel, insbesondere für Singvögel, sei weniger der direkte Kontakt mit dem biologischen Insektizid „Dipel ES“. Wichtig seien die Folgen dieses Einsatzes hingegen für Insekten, die den meisten Vögeln als Nahrungsgrundlage dienen.
Wirkstoff dieses Insektizids ist das sogenannte Bacillus thuringiensis. Es wirkt ganz spezifisch auf Larven von Schmetterlingen. „Es ist ein gewaltiger Irrtum, anzunehmen, dass dieses Bekämpfungsmittel nur gegen den Eichenprozessionsspinner wirkt“, meint Wallschläger. In entsprechenden Tests konnte lediglich ausgeschlossen werden, dass es gegen den Eulenfalter wirkt. Deshalb seien die meisten Raupen, also Schmetterlinge, genauso betroffen wie der Eichenprozessionsspinner. Nehmen die Insekten das Bakterium über die Blätter auf, vermehrt es sich in deren Darmtrakt. Dort produziert es dann das tödliche Gift. Als Folgen des großflächigen Sprüheinsatzes erwartet Dieter Wallschläger zwei Effekte. Erstens seien die Populationen der meisten Schmetterlinge betroffen. Wenn die Raupen sterben, entwickeln sich auch keine Schmetterlinge mehr. Zweitens finden Vögel kaum noch Insektenlarven für ihre Brut. Davon dürften nach Ansicht des Forscher besonders Vögel betroffen sein, die ihre Jungen in der ersten Zeit mit Raupen füttern. So die Blaumeise, die Kohlmeise und der Trauerschnäpper. Wallschläger: „Gerade jetzt, wo die Vogeljungen alle schlüpfen, wurde dieses Insektizid ausgebracht. Mit Sicherheit wird es deshalb Brutausfälle geben.“
Seit zehn Jahren wird der Singvogelbestand im Park Sanssouci kontinuierlich beobachtet. Die Arbeitsgruppe um Dieter Wallschläger und den Tierökologen Thilo Liesenjohann, ebenso von der Universität Potsdam, untersucht nun die Auswirkungen der Sprühaktion gegen den Eichenprozessionsspinner, indem sie die gesammelten Daten der letzten zehn Jahre mit den diesjährigen vergleichen. „Wir werden schon in zwei bis drei Wochen erste Ergebnisse zur Ausflugrate der Jungvögel haben, erläutert Thilo Liesenjohann. Dafür haben die Forscher schon über 250 Eier in 80 Brutkästen verteilt im Park Sanssouci dokumentiert. Die Untersuchung soll auch im nächsten Jahr fortgesetzt werden. Wichtig sei aus Liesenjohanns Sicht aber auch eine längerfristige Dokumentation. Dafür hätten jedoch schon im letzten Jahr Forschungsgelder beantragt werden müssen. „Da wussten wir aber noch nichts von den Sprühaktionen und konnten nicht darauf reagieren.“
Aus Sicht des Ornithologen Wallschläger mache ein lokaler Einsatz gegen die Raupen an solchen Stellen Sinn, an denen sich auch viele Menschen aufhalten. Ansonsten gebe es in der Natur nun einmal Populationsschwankungen. „Wir stehen jetzt vor einem Höhepunkt, was die Zahl der Eichenprozessionsspinner betrifft“, so Wallschläger. Doch die Population würde auch wieder einbrechen – ohne Zutun des Menschen. Wenn die Larven die Kronen der Eichenbäume kahlfressen, finden sie keine Nahrung mehr. Folglich werden es weniger. Vögel reduzieren auch die Zahl der Insekten, indem sie sie fressen. Dieter Wallschläger: „Noch vor einigen Jahren wollten alle etwas gegen die Miniermotte tun, um die Kastanienbäume zu schützen. Heute gibt es diese Insekten zwar immer noch, aber ihre Zahl ist relativ gering. Nicht weil der Mensch eingegriffen hat, sondern weil das dem normalen Populationszyklus entspricht.“
Anja Laabs
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