Landeshauptstadt: Bücherturm am Langen Stall
Architekten planten 1991 Stadtbibliothek statt Garnisonkirche an der Breiten Straße
Stand:
Eine Planungsgruppe unter der Federführung des venezianischen Architekten Giorgio Lombardi unterbreitete im Jahre 1991 den Vorschlag, auf dem Areal der ehemaligen Garnisonkirche eine Stadtbibliothek zu errichten. Der Potsdamer Magistrat hatte damals ein „seminaristisches“ Verfahren der „Wasserstädte Europas“, aus dem Vorschläge für eine Neugestaltung der Potsdamer Innenstadt hervorgehen sollten, auf den Weg gebracht.
Die Idee von Lombardi & Co. bestand darin, durch gleichwertige Neubauten die Form der historischen Stadtgestalt wieder herzustellen. Die Architekten sprachen vom „erklärten Willen der Bürger, der zerstörten Stadt nicht so sehr ihre alte Form wiederzugeben, sondern deren symbolische Gleichwertigkeit“ und zwar an folgenden Orten: dem Sitz des Landes Brandenburg an dem Schloss-Standort; am Standort der Garnisonkirche mit einer neuen Stadtbibliothek; mit einem Aussichtsturm an der Stelle der Heiliggeistkirche und mit einem neuen Theater hinter der Fassade des Langen Stalls.
Augusto Romano Burelli, der ebenfalls am seminaristischen Verfahren 1991 teilnahm, konnte zumindest einen der genannten Punkte anschließend verwirklichen: Er entwarf unter der Bauträgerschaft von Dietrich Garski den umstrittenen „Seniorenturm“ in der Burgstraße, der heute als Aussichtsturm benutzt werden kann.
Mit Bibliothek und Theater an der Plantage sollte eine Art Kulturforum, wie es schon zu DDR-Zeiten vorgesehen war, entstehen: „Die Plantage schließt an der Südseite mit dem neuen Bibliotheksbau, der an Stelle des jetzigen Gebäudes geplant ist“, so Lombardi. Ein niedriger Bau mit Blick auf die Plantage war für Lesesäle und Büros vorgesehen. Und weiter heißt es wörtlich: „An der Stelle der Garnisonkirche, genauer noch der des Glockenturms, soll ein Bibliotheksturm entstehen, der der Aufbewahrung von Büchern und der Unterbringung kleinerer Lesesäle dient.“ Vielleicht hatten die Architekten den imposanten Feuerwehrturm jenseits des Langen Stalls gesehen und waren so auf ihren aus heutiger Sicht abstrusen Gedanken gekommen. Immerhin hatten die Potsdamer Stadtverordneten bereits im Oktober 1990 beschlossen: „Mit Freude und Dankbarkeit nehmen wir die Initiative der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e.V. zur Kenntnis, die dem Bedürfnis, die alte Schönheit der Stadt Potsdam wiederherzustellen, entspricht.“ Die Traditionsgemeinschaft, die den Wiederaufbau der Garnisonkirche zum Ziel hatte, baute das Potsdamer Glockenspiel nach, stellte es in Iserlohn auf und schenkte es im April 1991 der Stadt Potsdam. In dem erwähnten Stadtverordneten-Beschluss war schon vom Wiederaufbau der Garnisonkirche die Rede. Den Architekten ging es 1991 um die Wiederherstellung der „Landmarke“, welche nach ihrer Meinung einst die Garnisonkirche erfüllte.
Von dieser Sichtweise waren auch andere Architekten nicht frei. So schlugen Thorsten Krüger und Bertram Vandreike aus Berlin an der Breiten Straße einen „neuen Turm“ vor: „An dem auch für die Silhouettenbildung der Stadt wichtigen Standort wird in historischem Bezug ein neuer Turm errichtet.“ Welche Funktion dieser Turm haben sollte, sagten die Architekten nicht. Das Bild, das ihn vor dem von ihnen geplanten Theaterbau anstelle der Garnisonkirche zeigt, lässt sich eher als dekoratives Gebilde deuten. Krüger und Vandreike waren später in Potsdam außerhalb dieser Pläne erfolgreich. Sie gewannen den Wettbewerb zum Landtagsbau in der Speicherstadt und lieferten den Entwurf für die Wilhelmgalerie am Platz der Einheit. Die Fußbodengestaltung der großen Halle mit ihren Himmelssymbolen entstand aus kostbarem Naturstein nach einem Entwurf von Thorsten Krüger.
Die Verlagerung der Bibliothek vom Platz der Einheit zur Plantage sollte unter anderem Platz schaffen für die Wiederherstellung des Stadtkanals und die Errichtung eines Einkaufszentrums. Eine Planungsgruppe aus Rotterdam sprach ungeniert von der Errichtung eines Einkaufszentrums auf dem Platz der Einheit vom „Referenztyp GUM-Moscow“. GUM ist die Abkürzung für „Gossudarstwenny Universalny Magasin“ – staatliches Kaufhaus. Auf dem Lageplan Lombardis ist der gesamte Bereich vom Kanal bis zur Nikolaikirche als „Passage“ deklariert. Im Jahre 1991, als an das Stern-Center noch niemand dachte, bestand in der Tat ein großer Bedarf an einem Einkaufszentrum, um die Kaufkraftabwanderung nach Berlin zu stoppen.
In den Planungen anderer Architekten um den Neuen Markt und die Plantage spielte die Garnisonkirche überhaupt keine Rolle. So schlug Volkhard Weber aus Bonn vor: „Obwohl das neue Theater ... an verschiedenen Orten der Stadt vorstellbar ist, ließe es sich hier am Neuen Markt besonders gut einbinden in weitere Aktivitätsfelder. Das wäre zum Beispiel die Errichtung eines Museums für Politik und Kulturgeschichte Brandenburgs im Langen Stall, das in direkter Verbindung stünde mit der internationalen Jugendbegegnungsstätte einschließlich Jugendhotel im Bereich der Plantage.“ Keine Spur von Garnisonkirche oder Glockenturm. Lediglich die Heiliggeistkirche wollte Weber als „Wasser-Land-Marke“ als eine Art „Leuchtturm“ wieder errichten.
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Günter Schenke
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