Landeshauptstadt: China und ich – eine Geschichte vom Ankommen
Von Potsdam ins Reich der Mitte: Eine 14-Jährige will trotz fremder Sprache und Speisepläne heimisch werden
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Heute ist es soweit! Gleich geht es zum Flughafen und mit einer Zwischenlandung direkt nach China. In das Land, wo sogar einige unserer Haustiere zu den Grundnahrungsmitteln zählen, man in manchen Städten vor Smog nichts mehr sieht und Gasmasken tragen muss, und wo alle diese verrückte Sprache sprechen, die sich für uns Europäer anhört wie „Außerirdisch“. Und das auch noch für ein ganzes Jahr!
Als meine Eltern uns drei Kindern die Neuigkeit verraten haben, war der Schock groß. Mein kleiner Bruder musste weinen, nachdem er meine Eltern ausgiebig beschimpft hatte, meine Schwester hat es erstaunlich ruhig aufgenommen und ich bin erstmal ab zu meiner Freundin und habe versucht, mir die positiven Punkte der „Reise“ klar zu machen. Das waren zu diesem Zeitpunkt leider noch nicht so viele. Ich wusste zu wenig. Wir ziehen nach Tianjin, weil meine Eltern ein Angebot von der Schillerschule bekommen haben, dort an der neuen deutschen Schule zu arbeiten. Natürlich eine unglaublich tolle Erfahrung, und eine riesige Möglichkeit, neue Menschen und damit ihre Kulturen kennen zu lernen. Aber daran dachte ich erst einmal nicht. Erstaunt war ich, als ich bei meinen Grübeleien herausfand, dass ich kaum etwas über China wusste. Ich weiß, dass wir mit billigen Produkten „Made in China“ überhäuft werden, dass es Menschenrechtsprobleme mit Tibet gibt und die Chinesen nicht nur unglaublich gut Tischtennis spielen und Turnen können. Es gibt den Dreischluchten-Stausee, Hongkong, Taiwan, den Gelben Fluss, die Chinesische Mauer, die Mongolei, eine für mich noch recht verworrene Geschichte und Politik und Wirtschaft
Über China sind jetzt gerade täglich die Tageszeitungen voll, nicht nur mit Olympia. Das ist kein Wunder, denn China ist ein Land mit einer der ältesten und interessantesten Kulturen. Diese Kultur ist aber so fremd, dass ich glaube, China auch nach einem Jahr nicht im Geringsten verstehen zu können. Alleine die Amtssprache Mandarin beansprucht Jahre, um sich halbwegs verständlich machen zu können. Vom Schreiben will ich erst gar nicht reden. Die Sprache wird wohl eines meiner größten Probleme bleiben, obwohl meine Eltern einfach den gesamten Bestand an Chinesischen Sprachlernbüchern aufgekauft haben. Was ist denn zum Beispiel der Unterschied zwischen Mutter, Hanf, Pferd oder schimpfen, wo doch alles „ma“ heißt?! Woher soll ich aber wissen wann bei diesem Wort die Stimme hoch, runter, hoch-runter geht oder einfach gleich bleibt? Insgeheim kann ich immer noch nicht richtig glauben, dass es jetzt wirklich losgehen soll, weil diese fremde Welt einfach noch zu weit weg ist.
Aber wir haben Bilder von china-begeisterten Freunden gesehen und auch ich habe mich von ihrer Leidenschaft anstecken lassen. Obwohl ich zum Anfang doch sehr traurig war, meine neuen Freunde in Potsdam schon nach einem Jahr wieder verlassen zu müssen, hüpfe ich jetzt vor lauter Vorfreude durchs Haus. Meine Klasse in der Voltaireschule hat die Nachricht von meinen Reiseplänen auch ganz locker aufgenommen. Mal sehen, ob ich mein Versprechen halten kann, ihnen gegrillte Grashüpfer zu schicken.
Eigentlich hatten wir geplant mit der Transsibirischen Eisenbahn nach China zu fahren, das heißt, eine achttägige Reise per Zug. Das wollten wir machen, weil man sich dann besser die Entfernungen vorstellen kann. Im Flugzeug dagegen steigt man am Abend in Deutschland ein und wacht in China wieder auf. Leider müssen wir jetzt fliegen, weil wir sonst nicht rechtzeitig zum Schulbeginn am 1. September ankommen würden. Die ersten paar Tage in China werden wir wohl hauptsächlich wach mit einem Jetlag im Bett, oder schlafend auf den Schulbänken verbringen, ehe wir uns an den Zeitunterschied von rund neun Stunden gewöhnt haben.
Den Kontakt zu Deutschland werde ich höchstwahrscheinlich über Internet und ein wenig Briefverkehr halten. Ich bin schon jetzt gespannt wie viel sich wohl in meinen Augen verändert hat, wenn ich wieder hier bin. Worauf ich gerade am meisten gespannt bin, sind die Schule und die Jugendlichen in meinem Alter. Hier in Potsdam/Berlin habe ich zwar schon mehrere Chinesen getroffen, aber leider nur Erwachsene. Benehmen sich die Kinder in China genauso wie in Deutschland? Und was ist mit der Kleidung? Und was werden sie wohl auf ihrem Schulbrot haben? Haben sie überhaupt ein Schulbrot? Wie groß sind die Wohnungen und wie sind diese ausgestattet? Das alles spukt in meinem Kopf herum. Ich hoffe, dass ich schon bald Antworten habe.
Was sie alles erlebt, wird die 14 Jahre alte Josefine Markarian in einer Serie „China und ich“ in loser Reihenfolge auf der potsdambinich-Seite erzählen.
Josefine Markarian
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