Kolumne Etwas HELLA: Da stinkt nicht nur der Fisch
Wieso gibt es beim „Gastmahl des Meeres“ keinen Aufschrei wie in den 1990er- Jahren beim „Café Heider“? Als der Besitzer des Holländerhauses am Nauener Tor den Caféhausbetrieb einstellen und dafür eine Bankfiliale als sicheren und gut zahlenden Mieter aufnehmen wollte, da wurde lauthals protestiert.
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Wieso gibt es beim „Gastmahl des Meeres“ keinen Aufschrei wie in den 1990er- Jahren beim „Café Heider“? Als der Besitzer des Holländerhauses am Nauener Tor den Caféhausbetrieb einstellen und dafür eine Bankfiliale als sicheren und gut zahlenden Mieter aufnehmen wollte, da wurde lauthals protestiert. Die Potsdamer fanden, dass nicht ausgerechnet da, wo man so herrlich mitten im städtischen Gewimmel sitzen und das Weltgeschehen beobachten kann, noch ’ne Bank als Wendegeschenk hinkommen muss.
Der damals amtierende Baustadtrat, der garantiert auch öfter mal im Heider gesessen hat und das vielleicht immer noch tut, bekam Rückenwind und brachte ausreichend (Überzeugungs)Kraft auf, um die Umwidmung zu verhindern. Das Heider wurde gerettet. Es blieb eine bekannte Adresse für die Potsdamer Kaffeetrinker und Nicht-nur-Kuchen-Esser, wurde beliebter Treffpunkt der Touristen. Im Heider musste man einfach mal gewesen sein. Schon wegen seines Leumunds als Treff der Aufmüpfigen und Unangepassten zu DDR-Zeiten. Alternativ ist das Heider heute nicht mehr, aber schön sitzt es sich dort immer noch.
Wieso also gibt es keinen Aufschrei, wo nun das „Gastmahl des Meeres“ am Luisenplatz zur AOK-Geschäftsstelle umgewandelt werden soll? Na gut, mit ’ner Ostseemakrele auf der Gabel ist in der DDR niemand in den Widerstand gezogen. Die Gastmahle des Meeres waren eher eine staatliche Erfindung, um gastronomische Vielfalt vorzutäuschen. Nach der Wende ging es mit der fischigen Gastlichkeit am Luisenplatz leider auch eher bergab als zu neuen Gourmet-Höhen. Bereits gegen 22 Uhr machte das Gastmahl seine Schotten dicht und verscheuchte den bierdurstigen Gast. Aber – und dieses aber möchte ich mit vielen Ausrufezeichen versehen – das Haus am Brandenburger Tor mit seinem schönen Vorplatz ist genauso prädestiniert für ein Restaurant wie seinerzeit das Heider. Und es ist viel zu schade für ein Bürogebäude. Ich will ja nicht gleich alle bundesdeutschen Gesundheitsreformen kippen, aber muss sich die AOK, die pünktlich zum Dienstschluss die Lichter ausknipst, ausgerechnet an einem Touristen- und Gastronomietummelplatz niederlassen? Es hätte ja nicht unbedingt wieder Fisch sein müssen, der dem Gast gereicht wird und der – vielleicht nicht zur Freude aller – unverwechselbar riecht. Aber ein Restaurant, irgendein Restaurant an diesem Fleck wäre doch schön gewesen. Zumal von all den traditionellen Kneipen und Gaststätten Potsdams kaum noch eine übrig geblieben ist.
Ich würde sofort zu Protestkundgebungen aufrufen, wenn ich nicht befürchtete, dass es schon zu spät ist und dass der ausgehwütige Teil der Potsdamer meint, es gäbe inzwischen genug Essenangebote vom Edelrestaurant bis zum Dönerladen. Der neue Baudezernent aus dem schleswig-holsteinischen Eutin hat sicher auch kein inniges Verhältnis zu „Gastmahlen des Meeres“. Ich allerdings schon. Und deshalb bleibt mir nur noch eines übrig, nämlich kräftig und alleine vor mich hinzustinken.
Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam
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