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Homepage: Das Ballett der Kontinente

Der renommierte Geoforscher Xavier Le Pichon erklärte zum Leibniz-Kolleg das Sumatra-Beben von 2004

Ein Kollege von Prof. Xavier Le Pichon stand am 26. Dezember 2004 in Südostasien am Strand und sah das Wasser zurückweichen. Er begriff nicht sofort, was geschah, war vielleicht auch zu fasziniert von dem Naturschauspiel, um sofort zu schalten. Obwohl der Geophysiker ganz genau wusste, was ein Tsunami ist, dass das zurückweichende Wasser die Vorboten einer riesigen Flutwelle sind, brauchte er zwei, drei Minuten um zu reagieren, das Hotel zu warnen, sich und seine Familie in Sicherheit zu bringen.

Le Pichon erzählte zum 10. Leibniz-Kolleg in der vergangenen Woche diese Geschichte, um klar zu machen, dass auch für Experten die ungewöhnliche Intensität des Sumatra-Bebens überraschend kam. Seismologen hätten zwar vermutet, dass an der Kante zwischen der Indisch-Australischen und der eurasischen Erdplatte ein starkes Erdbeben droht. Doch wann dies passieren könnte, wusste niemand. Und die Warnungen der Forscher wurden in der Öffentlichkeit nicht erhört.

Immer noch sind die Experten sich nicht einig, ob die Stärke bei einer Magnitude von 9 oder 9,3 lag. Klar ist nur, dass das Seebeben eins der stärksten Erdbeben war, seitdem es Messungen gibt. Es entstand eine Verwerfung von bis zu 1600 Kilometern Länge unter dem Indischen Ozean, bis zu 200 Kilometer breit. Das Beben vom zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 dauerte bis zu zehn Minuten lang und brachte sogar die Pegel von Seen in Kanada ins Schwanken. Noch ein halbes Jahr nach dem Ereignis oszillierte der gesamte Erdball. Die aus dem Seebeben resultierende Flutwelle kostete rund 165 000 Menschen das Leben, über 110 000 wurden verletzt, 1,7 Millionen Menschen wurden obdachlos.

Was war passiert? Am 26. Dezember 2004 kam es zu einer ruckartigen Anhebung des Meeresbodens vor Sumatra auf zunächst 500 Kilometern Länge, durch die zahlreichen Nachbeben dehnte sich die Zone auf 1000 Kilometer aus. Dabei bewegte sich der Meeresboden der eurasischen Platte in dieser Länge um 10 bis 30 Meter nach oben. Diese plötzlichen Vertikalbewegungen lösten Tsunamis aus, die den ganzen Indischen Ozean durchzogen und an einigen Stellen die Küsten überschwemmten.

Subduktion nennen es die Fachleute, wenn ozeanische Erdplatten mit bis zu 22 Zentimetern im Jahr in den Erdmantel geschoben werden. Le Pichon – selbst einer der Mitbegründer der Theorie der Plattentektonik – erklärte den Vorgang im leidlich gefüllten Audimax der Universität Potsdam. Sein Vortrag auf Englisch mag sich eher dem anwesenden Fachpublikum in allen Details erschlossen haben, eine Simultanübersetzung für die eingeladene Öffentlichkeit hätte nicht geschadet. Studierende in den hinteren Reihen nutzen den Auftritt des renommierten Forschers streckenweise sogar für ein Schläfchen.

Im Interview am folgenden Tag fiel es Le Pichon leichter, die Dinge in seiner französischen Muttersprache anschaulich zu machen. Er spricht vom Ballett der Erdplatten, die in ihren Verschiebungen geradezu einen Tanz aufführen. Die Platten driften auf dem heißen Gestein der Lithosphäre im Laufe der Jahrmillion wie im Tanz umher, trennen sich, um sich wieder zu vereinen. Die Forschung schätzt, dass die einzelnen Kontinentalplatten drei mal im Lauf der Erdgeschichte zum großen Subkontinent „Gondwana“ vereinigt waren, zuletzt bis vor etwa 180 Millionen Jahren. Der thermische Prozess des heißen Erdinneren hält die Kontinente in Bewegung, an manchen Stellen wird dabei die Erdkruste verschluckt, an anderen Stellen entsteht neues Land. Im Falle des Sumatra Bebens seien auf einen Schlag rund 30 Meter Erdkruste ins Erdinnere verschwunden. „Das ist eine beachtliche Menge“, so Pichon. Der thermischen Prozess geht auf die Hitze zurück, die im Erdinneren durch radioaktive Substanzen produziert wird: „Wir sitzen auf einem riesigen Kernkraftwerk, dessen Energie irgendwo extrahiert werden muss.“

Der Boden des Indischen Ozeans verschiebe sich um rund sechs Zentimeter pro Jahr. Im Falle des Sumatra-Bebens hätten sich die beiden Platten über längere Zeit blockiert, circa zehn Jahre lang habe sich die Energie aufgestaut und dann in den erheblichen Erdstößen gelöst. Als nächstes könnte die nördliche Region im Sumatra-Gebiet ein starkes Beben treffen, schätzt Le Pichon. Die ganze Region habe sich in der jüngsten Zeit aber so stark geändert, dass man die Mechanismen nun erst einmal verstehen müsse, um zu Prognosen zu kommen.

Das Sumatra-Beben hat die tektonischen Spannungen zwischen der Indischen und der Burmesischen Teilplatte neu verteilt. In einigen Gebieten entlang und in der Nähe der Plattengrenze haben sie abgenommen, in anderen zugenommen. Die Forschung muss jetzt die Verschiebungen messen, um zu Prognosen kommen zu können.

Die Bedeutung der Vorsorge wächst für Le Pichon in dem Maße, in dem die Menschheit wächst: „Das Wachstum der Weltbevölkerung ist zu schnell, um alle ausreichend vor Naturkatastrophen zu schützen“, sagte der Geoforscher an der Potsdamer Uni. Der Hurrikan Katrina, das Erdbeben von Kobe und der Tsunami in Südostasien hätten zudem gezeigt, dass es tagelang dauert, bis die Behörden das Ausmaß der Katastrophen erkennen. Warnungen vor den zerstörerischen Naturereignissen seien in den Wind geschlagen worden. Die Forschung müsse nun verstärkt und verbessert werden, um ausreichende Vorsorge zu gewährleisten.

Was bleibt, sind Ungereimtheiten und Geheimnisse der Katastrophen. So gab es etwa in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts eine signifikante Häufung von Erdbeben. Danach folgten, wie Le Pichon vorrechnet, einige ruhigere Jahrzehnte, bis sich seit den 80er Jahren die Erdaktivitäten wieder verstärkt hätten. „Ob dies ein Zufall ist oder eine Symmetrie dahinter steckt, müssen die Statistiker klären“, sagt Le Pichon. Die Ursachen solcher Häufungen seien vollkommen unerforscht. Klar sei nur, dass wir uns derzeit in einer äußerst aktiven Phase der Erde befinden.

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