Landeshauptstadt: Das Chaos blieb aus
Die Potsdamer hatten sich auf den Bahnstreik eingestellt – nach Berlin fuhr immerhin die S-Bahn
Stand:
Ich bin zwar selbst Gewerkschafter bei Verdi. Aber was die GdL macht, ist nicht richtig. In den Betrieben sollte Tarifeinheit herrschen. Der Streik ist ein reines Muskelspiel.
Wolfgang Cezanne, 62
Den kreativsten Streikvorschlag hatte am Samstag ein entnervter Bahnkunde auf dem Potsdamer Hauptbahnhof parat: Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) hätte lieber zum kollektiven Schwarzfahren aufrufen sollen, als stattdessen mit ihrem 50-stündigen Arbeitskampf unzähligen Bahnkunden das Wochenende zu vermiesen. Er habe nun wirklich kein Verständnis für den Streikaufruf der GDL, sagte der junge Mann. Ein anderer Passant vor dem Hauptbahnhof wollte zwar nicht gleich zum Schwarzfahren und damit zum Rechtsbruch aufrufen. Aber auch er zeigte sich am Samstag angesäuert: Zum Streik wolle er sich lieber nicht äußern. „Da werde ich ausfallend“, meinte der ältere Herr.
Insgesamt jedoch hatten sich die Potsdamer und ihre Gäste am vergangenen Wochenende offenbar gut auf den Bahnstreik vorbereitet: Schlangen von gestrandeten Bahnfahrern waren jedenfalls am Samstagmittag auf dem Hauptbahnhof nicht zu sehen. Lediglich am Auskunftsschalter in den Bahnhofpassagen fragten ratlose Bahnkunden immer wieder nach den verbliebenen Fahrtmöglichkeiten. Ein Bahnmitarbeiter sagte am Samstag, alles sei bis dahin im Potsdamer Hauptbahnhof ruhig verlaufen. „Ich war eigentlich selber überrascht“, erklärte er entspannt. Dasselbe Bild bot sich am Sonntag: Nur mäßig viele Menschen liefen sowohl mittags als auch am frühen Nachmittag durch die Bahnhofspassagen.
Für die Fahrgäste hingegen ein ernüchterndes Bild bot die große Anzeigetafel nahe dem Bahnhofseingang an der Friedrich-Engels-Straße: Fast alle Züge wurden gestrichen, konnte man darauf lesen. Von den zehn zu verschiedenen Tageszeiten angezeigten Regionalverbindungen fuhren zumeist lediglich ganze zwei Züge. Wer nur nach Berlin wollte, der konnte immerhin auf die S-Bahn ausweichen. In Anbetracht des umfassenden Streikaufrufs der GDL herrschten dort beinahe paradiesische Zustände. Nach Angaben eines Bahnsprechers fuhr die S7 am Wochenende tagsüber zumeist alle 20 Minuten, am frühen Sonntagvormittag nur alle 30 Minuten. Allerdings endeten die Züge bereits in Wannsee und fuhren nicht wie sonst üblich über die Berliner Innenstadt nach Ahrensfelde. In Wannsee konnte Bahnfahrer in die Linie S1 umsteigen, um von dort zur Berliner Innenstadt zu gelangen. Die Züge der S1 fuhren laut Angaben der Bahn tagsüber alle 20 bis 30 Minuten.
Die Bahn versuchte zwar, die Fahrgäste möglichst aktuell über den eilends gestrickten Notfahrplan zu informieren. Jedoch nicht immer gelang dies reibungslos. Wer sich etwa am Freitag im Potsdamer Hauptbahnhof nach einer Fahrtmöglichkeit für Samstag nach Magdeburg erkundigte, dem schallte ein „da sieht es ganz schlecht aus“ entgegen. Bis Brandenburg an der Havel könne man Verbindungen nennen, aber wie es dort weitergehe, nun ja, das wisse man selber nicht.
Viele Bahnkunden zeigten sich zwar genervt, äußerten jedoch teilweise auch Verständnis für die Streikenden. Der Arbeitskampf sei zwar zu heftig, meinte etwa ein Bahnkunde, der von Basdorf nach Werder wollte und eigenen Angaben zufolge nunmehr zweieinhalb Stunden länger als sonst unterwegs war. Aber man müsse auch die Lokführer verstehen: „Die Ziele sind nachvollziehbar.“
Auch im sozialen Netzwerk „Facebook“ berichteten Potsdamer über ihre Erfahrungen mit dem Streik. Etwa der Potsdamer SPD-Vize Kai Weber, der auf dem Weg zur Ostsee war. Kurz vor 10 Uhr am Samstag saß er demnach am Berliner Hauptbahnhof fest, bevor es für ihn zwei Stunden später im Regionalexpress nach Mecklenburg-Vorpommern weiterging. Sein Kommentar: „Es gab Sitzplätze für alle. Im Bahnhof war auch nix los. Die meisten dürften ihre Reise verschoben haben oder sind auf andere Verkehrsmittel umgestiegen.“
Debattiert wurde bei „Facebook“ auch über den Streik an sich. Eine Frau meinte: „Ich empfinde diesen Streik als unverschämte Anmaßung einer Gruppe von Menschen, die auf ihren persönlichen Vorteil bedacht sind. Gibt es einen Grund, mich zu bestrafen?.“ Ein anderer: „Nach dem Streik kommt eine Fahrpreiserhöhung, die dann auch wieder uns trifft.“ Und: „Die Fernbusunternehmen freuen sich auch. Kann man nur hoffen, dass nicht zu viele auf den Geschmack kommen und der Bahn als Kunden dauerhaft verloren gehen.“ SPD-Vize Weber erklärte, das Streikrecht als solches müsse man aber anerkennen.
Offenbar nur wenig mehr Umsatz brachte der Arbeitskampf bei der Bahn den Potsdamer Taxiunternehmen. „Ich hab nichts mitgekriegt“, meinte am Sonntag ein Taxifahrer. Harry Kortschlag vom gleichnamigen Potsdamer Taxiunternehmen sagte: „Man kann sagen, dass wir hier nicht wirklich Stress haben.“ Der ein oder andere Fahrgast fahre vielleicht eine etwas längere Strecke als sonst – etwa gleich nonstop durch nach Berlin anstatt bis zum nächsten Potsdamer Bahnhof. Ansonsten aber sei das Kundenaufkommen durchschnittlich.
Ich hätte nicht gedacht, dass die Zugausfälle so extrem sind. Beim Bahnstreik vor ein paar Tagen fuhr ich in Berlin Bus. Der war so voll, das war reinstes Gruppenkuscheln.
Jennifer Eichhorst, 18
Den Streik finde ich dämlich. Andere Arbeitnehmer müssen körperlich mehr arbeiten für weniger Geld. Sollen sich die Lokführer doch woanders neue Jobs suchen.
Benjamin Krenz, 32
Gestern bin ich aus Basel gekommen und wollte nach Potsdam. Doch in Berlin fuhr nichts mehr weiter. Ich musste dort übernachten. Der Streik ist unverhältnismäßig.
Katja Reh, 34
Dass man streikt, verstehe ich ja. Aber ein ganzes Wochenende finde ich zu viel. Ich komme aus Dortmund und bin wegen des Streiks auf den Fernbus ausgewichen.
Lina Hangebrauck, 18
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: