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Landeshauptstadt: Das fehlende Herz

Gedenken an die Pogrome vom 9. November: Vertreter der jüdischen Gemeinde fordern neue Synagoge

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Innenstadt – Ein musikalisches Gebet bildete den ergreifenden Abschluss: In den nasskalten und düsteren Novembermittag hinein sang Ud Joffe das hebräische Gebet „Gott voll der Gnade und Erbarmung“. Joffe, der aus Israel stammt und unter anderem den Neuen Kammerchor Potsdam sowie den Chor der Kantorei an der Erlöserkirche leitet, intonierte das Gebet in Vertretung des Potsdamer Rabbis Nachum Presman, der momentan verreist ist. Die jüdische Gemeinde Potsdam hatte gestern zur Gedenkveranstaltung an die Pogrome der so genannten „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 eingeladen. Etwa 130 Gäste kamen dazu am Standort der ehemaligen jüdischen Synagoge am Platz der Einheit zusammen – unter ihnen Stadtverordnete aller Fraktionen.

Mit den Übergriffen auf Synagogen, aber auch Geschäfte und Wohnhäuser jüdischer Besitzer begann vor 69 Jahren die Katastrophe, sagte Vladimir Genkin, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Potsdam. In zwölf Jahren Naziherrschaft seien 48 Millionen Menschen umgekommen – darunter sechs Millionen Juden und fast ebenso viele Deutsche, wie Genkin erinnerte. Das Gedenken an die Pogromnacht bleibe „unverändert richtig und wichtig“, betonte Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD).

Bis in die 1980er Jahre hinein habe das Judentum in Potsdam „keinen Lebensraum“ gehabt, so der Oberbürgermeister. Er begrüßte die Wiederbelebung der jüdischen Kultur in Potsdam. Erinnerung bedeute auch Verantwortung für die Gegenwart und fordere „aktives Handeln“, so Jakobs: Dazu gehöre, „dass wir unseren jüdischen Mitbürgern wieder eine Synagoge zurückgeben“. Der Aufbau könne aber nicht aus „öffentlichen Mitteln allein“ gesichert werden, schränkte er ein.

Ud Joffe bezeichnete die Synagoge als „Herz einer Gemeinde“. Die in den vergangenen 19 Jahren wiederbelebte jüdische Gemeinde Potsdam „schreit nach einem Herz“, so Joffe. Eine Synagoge sei wichtig, um das jüdische Selbstverständnis weiterentwickeln – und „Kinder zu begeistern“. Auch der Gemeindevorsitzende Genkin bekräftigte die Forderung nach dem Neubau einer Synagoge und eines jüdischen Gemeindezentrums. Dafür brauche man die Unterstützung der Stadt und der Landesregierung, sagte er.

Die Synagoge Potsdam wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 vom Nazi-Mob verwüstet, beim Bombenangriff am 14. April 1945 schwer beschädigt und im August 1957 auf Beschluss des Rates der Stadt abgerissen. Im März 2005 gründete sich der Bauverein Neue Synagoge Potsdam, der einen Neubau in der Schlossstraße anstrebt und Spenden sammelt. Das Vorhaben wird vom Zentralrat der Juden unterstützt. 2007 jährt sich die Weihe der ersten Potsdamer Synagoge zum 240. Mal.

Die Gesetzestreue Gemeinde hatte bereits am Donnerstag der Pogrome gedacht, da der 9. November in diesem Jahr auf Freitag, den jüdischen Schabbat-Feiertag, fiel. An diesem Ruhetag fänden bei den Gesetzestreuen keine Veranstaltungen statt, hieß es. Jana Haase

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