Homepage: Das Friedrich-Bild bedarf einer Korrektur
Auch ökonomische Gründe: Toleranz und Judenemanzipation
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Auch ökonomische Gründe: Toleranz und Judenemanzipation Von Jan Kixmüller Als der Philosoph und Aufklärer Moses Mendelssohn Mitte des 18. Jahrhunderts nach Berlin übersiedelte, blieb er ohne bürgerliche Rechte. Als Jude brauchte er für die Niederlassungsrechte einen Bürgen, aber auch als so genannter Schutzjude war es ihm verboten, eine Familie zu gründen, ein Geschäft zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen. Erst nach mehreren Bittschriften erlangte der Weise, der forthin unter den Juden den Gedanken der Aufklärung und Emanzipation verbreitete, den nötigen Schutzbrief. Und wie der Potsdamer Historiker Prof. Julius H. Schoeps zu berichten weiß, auch nur nach einer List des Marquis D''Argens, der der Bittschrift den folgenden Nachsatz hinzufügte: „Un Philosoph mauvais catholique supplie un Philosophe mauvais protestant de donner le privilège à un Philosophe mauvais juif“. Was sinngemäß bedeutet, ein Philosoph sollte einem anderen Philosophen auf gleicher Augenhöhe begegnen. Die jeweilige Religionszugehörigkeit dürfe dabei keine Rolle spielen. Treffen mit dem König „Toleranz und Judenemanzipation in Potsdam – Legenden und Quellen“ war der Arbeitstitel eines Vortragsabends in der Reihe Potsdam in Europa im Alten Rathaus. Von Legenden wusste Schoeps einiges zu berichten. Etwa dass Mendelssohn dem König auf der Straße begegnete und dieser ihn fragte, wohin er gehe. Keine Ahnung, entgegnete Mendelssohn ihm. Worauf der König ihm zürnte und drohte, ihn ins Gefängnis bringen zu lassen. Mendelssohn erwiderte: „Sehen sie, wie konnte ich vorhin wissen, dass ich heute noch im Gefängnis lande.“ Die eigentliche Frage, die sich im Zusammenhang mit den Potsdamer Juden für Schoeps ergibt ist aber, was es mit der viel beschworenen Toleranz in Brandenburg auf sich hat. Und hier kommt er zu einem ernüchternden Urteil. Es habe ihn im Musterland der Toleranz zwar gegeben, den Geist der religiösen Duldsamkeit. Doch dahinter steckten auch ganz handfeste politische und ökonomische Interessen. So wollte man etwa Einwanderer mit ausreichend Kapital ins Land holen, in der Hoffnung, damit einen Aufschwung auszulösen.Die Juden hätten dabei allerdings geringere Rechte als andere Religionsgruppen erhalten. „Der Toleranz waren Grenzen gesetzt, vor allem wenn die Juden den christlichen Glauben berührten.“ So blieb der Bau von Synagogen im 18.Jahrhundert untersagt. Der Hintergrund der Toleranz von Friedrich Wilhelm II. seien in erster Linie wirtschaftliche Aspekte gewesen, weniger Werte wie Nächstenliebe und Gleichheit. „Das Friedrich-Bild vom aufgeklärten Herrscher bedarf einer Korrektur“, stellte Schoeps schließlich fest. Erst im 19. Jahrhundert hatte sich die Toleranz tatsächlich stärker durchgesetzt, als aufklärerische Ansichten in bürgerlichen Kreisen als zeitgemäß galten. Kommentiert wurde Prof. Schoeps an diesem Abend von Prof. Michael Lemke vom Zentrum für Zeithistorischer Forschung (ZZF). Er konnte Schoeps in weiten Teilen zustimmen. Auch wenn der Kurfürst Friedrich Wilhelm ein Christenmensch im besten Sinne gewesen sei, so war die Toleranzpolitik nach dem schrecklichen 30-jährigen Krieg in erster Linie auf ökonomische Effekte angelegt. Und was die Juden betraf, so hätten die Verordnungen vor allem auf das Kleinhalten des Judentums abgezielt. Etwa, dass Schutzjuden maximal drei Kinder bekommen durften, wovon nur das erste Kind die Privilegien übernehmen durfte. Auch und gerade in Potsdam habe die Frage der Behandlung der Juden stark von der Willkür einzelner Beamter abgehangen. Was die Judenemanzipation betrifft, so sei die Legende von brandurgisch-preußischer Toleranz im 18. Jahrhundert durchaus noch zu hinterfragen. Der Historiker Lemke hatte interessante Zahlen zur jüdischen Gemeinde Potsdam mitgebracht. Während der Kurfürst 1671 rund 50 jüdische Familien mit Vermögen ins Land geholt hatte, zählte man in Potsdam 1740 zehn jüdische Familien, 1848 waren es rund 100 Steuerzahler jüdischer Herkunft und 1889 hatte die jüdische Gemeinde 178 Mitglieder. Auf dem Höhepunkt zählte die Gemeinde im Jahre 1925 immerhin 407 Mitglieder, nach dem Holocaust waren es 1946 nur noch 46. Im Jahre 1949 wurde die jüdische Gemeinde auf Geheiß der Provinzverwaltung aufgelöst und erst 1989 wieder ins Leben gerufen. Im 18. Jahrhundert waren die Juden laut Lemke zu einem nicht unerheblichen wirtschaftlichen Faktor geworden, der dem preußischen Fiskus Geld einbrachte. Vorbildlich für Potsdam wurde zudem auch die sozialen Errungenschaften der Gemeinde, so etwa die Organisation der Krankenpflege. Für die juristische Gleichstellung der Juden war nach Lemkes Worten die Zeit im 19. Jahrhundert reif gewesen. Doch zwei Fragen bleiben für den Historiker offen. Zum einen, ob die Emanzipation der Juden im 18. und 19. Jahrhundert nicht vorrangig eine von oben bestimmte war, und zum anderen in wie weit diese Emanzipation in Deutschland die antisemitische Stimmung forcierte. Hässliche Porzellanaffen Und die Frage der Assimilation? Wurde Mendelssohn nicht gezwungen, 13 hässliche Porzellanaffen anlässlich seiner Heirat mit Fromet Guggenheim von der Königlichen Porzellanmanufaktur abzunehmen? Eine Art Steuer, die aus Gründen der Staatsloyalität zu entrichten war, womit die Behörden gleichzeitig aber auch den Käufer verhöhnten. Die Forderung eines Aufgehens der Juden in die christliche Gesellschaft sieht Schoeps nicht unproblematisch und richtet den Blick in die Gegenwart. Grundsätzlich sei er der Meinung, dass unsere Gesellschaft den Anderen so akzeptieren sollte, wie sie sich selbst begreift. Unsere Gesellschaft sei heute längst eine multikulturelle, was aber die meisten noch nicht begriffen hätten, kommentiert Schoeps gelassen. Gefährlich findet er allerdings Debatten wie die jüngste um das Kopftuch an den Schulen. „Letztlich fragt sich, ob der Staat heute tatsächlich so religionsliberal ist, wie er sich gibt“, schloss der Historiker.
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