Homepage: Das Genom, Dali und der Aberglaube Genforscher sprach am Humboldt-Gymnasium
Für den Professor war es eine Herausforderung. Die aktuellsten Ergebnisse der Genom-Forschung vor Schülern der gymnasialen Oberstufe vorzustellen, in einem dicht besetzten Klassenzimmer, das ist etwas anderes, als vor Kollegen zu sprechen.
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Für den Professor war es eine Herausforderung. Die aktuellsten Ergebnisse der Genom-Forschung vor Schülern der gymnasialen Oberstufe vorzustellen, in einem dicht besetzten Klassenzimmer, das ist etwas anderes, als vor Kollegen zu sprechen. Also kümmert sich der renommierte Gen-Forscher Prof. Dr. Karl Sperling vom Berliner Virchow-Klinikum zuerst einmal um die Luft. Wie lange kann er sprechen, 90 Minuten? „Dann bitte die Fenster auf zum Lüften!“ Prof. Sperlings Vortrag war der Auftakt der Akademiewoche, die noch bis Ende dieser Woche 40 führende Forscher an rund 50 Schulen Brandenburgs bringt. Sperling weiß, wie er sich Gehör verschafft: Sein Horoskop sehe ganz schlecht aus, eigentlich hätte er besser zuhause bleiben sollen. Denn die Gene seien nicht alles, auch andere Kräfte würden unser Geschick bestimmen. Alle aufgewacht? Die Astrologie sei natürlich blanker Unsinn, zerstreut Sperling schnell die Verwirrung. Doch, dass der Mensch seit einigen Jahrtausenden an die Macht der Sterne glaubt, das wiederum hänge nach Erkenntnis der Forscher mit den Genen zusammen. Die Erklärung dazu stellte Prof. Sperling den Schülern indes erst zum Ende des Vortrags in Aussicht. Der Forscher begab sich in sein Element: 23 Chromosome vom Vater, 23 von der Mutter, ergibt rund 25000 Gene. Auf der menschlichen Genkarte sind heute etwa drei Milliarden Basenpaare – eine Bibliothek mit 1000 Büchern – von jedem Elternteil verzeichnet. Damit arbeiten die Forscher, wie Reisende mit Landkarten, suchen Verbindungen und Erklärungen für Zusammenhänge. Alle Genome sind gleich, das Geheimnis der völlig unterschiedlichen Entwicklung der Menschen liegt in der Aktivierung bestimmter Gene. Was von der Öffentlichkeit heute meist falsch interpretiert werde. Auf die allgemeine Kritik an seiner Disziplin reagierte Prof. Sperling kämpferisch: Wenn jemand wie Habermas heute kritisiere, dass die Trennlinie zwischen der „Prävention der Geburt“ eines unheilbar kranken Kindes und der vermeintlichen Verbesserung des Erbguts nicht mehr erkennbar sei, dann habe der Philosoph den Forschungsstand nicht verstanden. „Es gibt keine Gene für Intelligenz und Charakter, über die man gezielt solche Eigenschaften verändern könnte“, so Sperling. „Das Schreckensszenario von Habermas, dass man so den ganzen Menschen manipulieren könne, ist ein Horrormärchen“, gab der Wissenschaftler den Schülern mit auf den Weg. Raum für eine Diskussion einer solch heiklen Frage war im Klassenzimmer aber nicht gegeben. Sperling hingegen warb für die Gentechnik, indem er ihre Vorzüge mit Beispielen belegte. Ein Blick in das menschliche Erbgut könne heute schon Auskunft darüber geben, ob ein Kind eine bestimmte Erbkrankheit bekommt oder nicht. Gerade erst habe sein Team am Virchow-Klinikum einer Frau aus dem Oman die glückliche Nachricht geben können, dass ihr ungeborenes Kind nicht, wie eines seiner Geschwister, unter einer schweren Erbkrankheit leiden wird. Die Frau habe Brandmale auf dem Bauch gehabt: So habe man im Oman versucht, bei ihr den Teufel auszutreiben. „So etwas wird mit der heutigen Medizin überflüssig“, lautet Sperlings Fazit. Die Gentechnik ermögliche nicht nur die Abschätzung von Krankheitsrisiken sondern auch die Verbesserung von Therapien. So sei es heute etwa bei Lymphomen bei Kindern möglich, nach einem Gen-Check die richtige Therapieform zu wählen: was in vielen Fällen lebensrettend sei. „Durch das Verständnis der genetischen Ursachen wird hier die Heilung möglich“, betonte der Forscher. Prof. Sperling scheute nicht davor zurück, tiefer in die theoretischen Grundlagen der Genom-Forschung vorzudringen. Wie eine Schülerin im Anschluss verriet, konnten dem zwar nicht mehr alle Schüler folgen. Überrascht wurde der Forscher dennoch: Auf zwei äußerst kniffelige Fragen, erhielt er prompt die richtige Antwort. „Das wissen meist nicht einmal unsere Studenten“, so Sperling. Zur Belohnung gab es dann die Erklärung zur Frage der Astrologie. Sperling zeigt ein Vexierbild von Dali: mal sieht man Sklaven, mal eine Büste von Voltaire.Wieso kann der Mensch dies nicht eindeutig erkennen? „Da wir in kausalen Strukturen denken.“ Und dieses zusammenhängende Denken bringe auch den Aberglauben hervor. „Unser Gehirn ist nicht entstanden, damit wir die Wahrheit erkennen, sondern um unser Überleben zu sichern“, erklärte Sperling den verblüfften Schülern.
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