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Landeshauptstadt: Das Gesicht in der Architektur

Warum Moritz Kock, Architekt des VW Design Centers, ein originalgetreues Palais Barberini nicht haben will, dafür aber das Niemeyer-Bad

Stand:

Wie halten Sie es in Potsdam überhaupt aus? Überall Schinkel, Persius, Knobelsdorff – und Gebäude aus heutiger Feder gelten fast als Teufelswerk?

Ich fühle mich als Architekt gerade in Potsdam besonders wohl, weil die von Ihnen genannten Architekten in ihrer Zeit sehr modern waren. Denn sie richten den Blick visionär in die Zukunft. Für mich ist die Motivation, hier zu arbeiten, mich diesem Anspruch zu stellen und dazu beizutragen, dass Potsdam nicht als Antiquitätensammlung für Traditionalisten missverstanden wird.

Besteht die Gefahr der Musealisierung?

Ja, die Gefahr einer falschen Musealisierung. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, nachahmend etwas schon Vorhandenes in die Zukunft zu verlängern. Wenn man von einem Welterbe spricht, dann haben wir die Verantwortung geerbt, eine Tradition des Visionären fortzusetzen. Große Kunstwerke zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen die zukünftige Wirklichkeit schon lebendig ist. In ihnen kann man erkennen, was für die Entwicklung in der Zukunft unverzichtbar sein wird. Und wenn die Zukunft dann eingetreten ist, Gegenwart geworden ist, und Sie blicken zurück, dann werden Sie ihre eigene Gegenwart nicht verstehen können, ohne diese Kunstwerke gekannt zu haben. Darin besteht das historisch Bedeutende von Kunstwerken. Das ist es auch, was Sanssouci unterscheidet von dem Schloss in Stuttgart. Und das unterscheidet Potsdam von einer Antiquitätensammlung. Es ist geradezu schädlich, eine historische Atmosphäre als Stimmung künstlich wiederherstellen zu wollen, um sich wie ein Antiquitätensammler von der Zukunft abzukehren und sich gemütlich im bewährten Vergangenen einzurichten.

Was heißt das konkret für Potsdam?

Dass die Entscheidung, in der Potsdamer Mitte Knobelsdorffs Schlossfassade wieder auferstehen zu lassen, gleichzeitig bedeuten muss, auf keinen Fall in der Umgebung an einem nachgemachten historischen Stadtbild „weiterzustricken“. Konkret bedeutet das, an der Alten Fahrt nicht das historische Palais Barberini wieder zu errichten, sondern dort etwas Modernes zu bauen. Die historische Fassade des Palais Barberini täte der Entscheidung für die Knobelsdorff-Fassade nicht gut, weil dann klar wäre, es geht den Potsdamern nicht um das einmalige Knobelsdorff- Kunstwerk, sondern um ein Wiedererstehen von Vergangenem. Man hätte vor den schöpferischen Herausforderungen seiner eigenen Zeit resigniert.

Welche Visionen haben Sie von der Zukunft, welche Bauten braucht Potsdam in seiner Zukunft? Wie kann man das charakterisieren?

Das kann man nicht charakterisieren. Sie können nie eine Regel aufstellen, nach der ein Kunstwerk entsteht. Das ist auch das Problem aller Gestaltsatzungen, aller Regelwerke. Sie können mit Regelwerken Katastrophen verhindern, aber sie können mit Regelwerken keine Kunst erzeugen.

Auf ihrem großen Tisch häufen sich die Bauskizzen. Sind sie beim Zeichnen auf der Suche nach dem genialen Wurf?

Den Begriff des Genialen muss man grundsätzlich weglassen. Aber man kann sich natürlich überlegen, wie man zu einem Entwurf kommt. Gebraucht wird ein möglichst umfassendes Bewusstsein dessen, was gerade in der großen Potsdamer Vergangenheit als Anspruch formuliert worden ist – um sich mit diesem Bewusstsein offen der Zukunft zuwenden. Natürlich fragt man sich, welche Voraussetzungen haben die von ihnen eingangs genannten bedeutenden Architekten erfüllt. Was sie alle drei gemeinsam haben ist ihre intensive Beschäftigung mit der Malerei und der Zeichenkunst. Alle drei sind vor allem ganz große Porträtisten gewesen. Sie werden fragen, was das mit Architektur zu tun hat? Nun, das merken Sie sofort, wenn von der Gesichtslosigkeit in der modernen Architektur gesprochen wird. Man muss sich dann im Umkehrschluss fragen: „Wie kommt man zu einer gesichthaften Architektur?“ – und man lernt aus dem Werk der drei großen Potsdamer Architekten, dass man sich die Fähigkeit, den Dingen ein Gesicht zu geben, in der Porträtzeichnung oder der Porträtmalerei erarbeitet haben muss.

Aber wenn ihr Gesicht in eine Sichtachse hineinragt, endet in Potsdam für gewöhnlich die Kunstfreiheit des Architekten. Sie sind im Welterbe starken Restriktionen ausgesetzt.

Architekten schaffen kein autonomes Kunstwerk. Wenn Sie Maler sind, können sie alles malen. Wem es nicht gefällt, der wendet sich davon ab, er muss es nicht ansehen. Wenn sie Architekt sind, muten sie das, was sie tun, anderen zu. In einer Demokratie setzen nach Möglichkeit kenntnisreiche und interessierte Bürger Rahmenbedingungen, denen man sich fügen muss, und wenn man damit nicht einverstanden ist, dann nimmt man an der Diskussion teil und versucht, seinen Standpunkt deutlich zu machen und zu überzeugen.

Sie sprachen von Zukunft. Mit welchem Zeithorizont bauen Sie, 20 Jahre oder 200?

Es gibt die physische Haltbarkeit aufgrund der technischen Bauqualität. Und es gibt die historische Bedeutung, die sich irgendwann einstellt, weil man sieht, da ist ein Gedanke formuliert worden, der für die spätere Entwicklung unverzichtbar war. Das geht aber nicht immer zusammen. Es gibt handwerklich außerordentlich solide Bauten aus der nationalsozialistischen Zeit, auf die man sofort verzichten könnte. Es gibt Bauten aus armen Epochen, wie dem Beginn des 19. Jahrhunderts zum Beispiel oder den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, die immer wieder restauriert werden müssen, die manchmal technische Lösungen vorweggenommen haben, mit denen man aber damals eigentlich noch nicht bauen konnte, die deshalb technisch nicht sehr haltbar sind, die aber trotzdem eine Idee verkörpern, wegen der sie für immer erhalten werden müssen.

Die DDR war auch arm und reich an Visionen. Was sollte aus der DDR-Zeit in Potsdam erhalten werden?

Ganz berühmt ist Ulrich Müthers Seerose, das Seerosen-Café in der Neustädter Havelbucht. Etwas, das viel zu wenig gewürdigt wird, ist übrigens die ganz große städtebauliche Leistung der DDR-Zeit, aus Potsdam überhaupt eine Stadt für viele Menschen gemacht zu haben. Stellen Sie sich bitte vor, es hätte die DDR nicht gegeben und die jetzigen Planungs- und Baugesetze hätten bereits 1950 gegolten: Es wäre unmöglich gewesen, so viel bezahlbaren Wohnraum in das Stadtbild zu integrieren – auch auf so gute Weise, wie das größtenteils passiert ist. Potsdam hätte vermutlich nie den Charakter einer eigenständigen Stadt bekommen, es hätte gar keine Möglichkeit gegeben, hier eine Universität zu haben, weil die Studenten hier gar nicht wohnen könnten. Potsdam wäre ein Villenvorort von Berlin geworden, wie eine Art Bad Homburg für Frankfurt/Main oder Blankenese für Hamburg. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist die Arbeit der für die Ansiedlung der Mehrheit der Potsdamer verantwortlichen DDR-Stadtplaner als Ganzes eine große Leistung. Positiv möchte ich Hermann Henselmann nennen, der sich zu Beginn der Ära Chruschtschow vom stalinistischen Neoklassizismus abgewandt und der von Oskar Niemeyer vertretenen Moderne zugewandt hat.

Oskar Niemeyer, was für ein Stichwort! Sie hätten sein Potsdamer Freizeitbad gern errichtet gesehen?

Wenn sie den Architekturführer von Potsdam durchsehen, stellen sie fest, dass Potsdam eine der exquisitesten Architektursammlungen, Baukunstsammlungen, der Welt hat. Es gibt vier, fünf Orte auf der Welt, an denen Sie aus den letzten 300 Jahren, vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert, so viele bedeutende Bauten finden. Insbesondere zeichnet Potsdam aus, dass es viele Frühwerke gibt, von Mies van der Rohe, Mendelssohn, Scharoun, Egon Eiermann, abgesehen von Schinkel, Knobelsdorff und Persius. Eine Baukunstsammlung können Sie aber nicht später komplettieren. Sie können nicht wie bei einer Gemäldesammlung später sagen, mir fehlt eine Epoche, etwa drei Jahrzehnte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und ich kaufe mir noch ein Werk von Picasso aus der Spätphase. Wenn Sie ein Baukunstwerk wollen, müssen Sie den Architekten kennen, er muss sich dem Grundstück widmen, er muss seine Vision von diesem Ort zu einem Teil seines Lebenswerkes machen – zu seinen Lebzeiten. Wenn er tot ist, geht es nicht mehr. Das Schwimmbad für den Brauhausberg – wir haben dafür die Ausführungsplanung gemacht – gibt es als vollständige Ausführungsplanung, von Oscar Niemeyer autorisiert und unterschrieben. Das bedeutet, diese Bad-Planung hat die Qualität einer vollständigen Opernpartitur. Stellen Sie sich vor, wir fänden in einer Bibliothek die Partitur einer weiteren Oper von Ludwig van Beethoven, die noch nie jemand gehört hat. Wir könnten sie aufführen, so wie wir das Schwimmbad bauen könnten.

Wir könnten sie aber auch erst in 100 Jahren uraufführen.

Die Pläne sind so konkret, dass das bei dem Schwimmbad auch ginge. Der Grad der Authentizität wäre noch in 100 Jahren, obwohl das Gebäude noch nie vorher gestanden hätte, vollkommen – anders als etwa beim Berliner Schloss, das weitgehend nach Foto-Dokumentationen wiedererrichtet werden soll.

Aber warum ein Niemeyer-Werk in Potsdam?

Sein Schwimmbad hätte über die reine Funktion hinaus einen herausragenden kulturellen Wert, weil es das Werk eines weltberühmten Architekten ist, der als Künstler die Träume teilt, die viele Menschen mit der kommunistischen Idee und der Gründung der DDR verbunden haben. Es wird der Tag kommen, an dem das jetzt gerade in die andere Richtung des globalen Turbokapitalismus und einer neuen Ungerechtigkeit ausgeschlagene Pendel der Geschichte wieder zurückschlägt. Dann wird man sich daran erinnern, dass es auch andere Ideen einer gesellschaftlichen Entwicklung gegeben hat, die ihren großen Wert hatten, und man wird nach Anknüpfungspunkten suchen, die geläutert sind von allen früheren tagespolitischen Verfehlungen. In all seinen Bauten hat Oskar Niemeyer wie kein zweiter Architekt des 20. Jahrhunderts die Idee der sozialen Gerechtigkeit zum Ausdruck gebracht. Diese Idee ist als Botschaft der 70iger und 80iger Jahre in unserer reichhaltigen Potsdamer Baukunstsammlung unterrepräsentiert.

Viele Menschen verbinden die DDR zuerst mit dem Abriss der Garnisonkirche oder des Wohnhauses von Theodor Storm.

Sie dürfen den Kommunismus als Idee nicht mit der DDR gleichsetzen. Menschen wie Oskar Niemeyer oder Pablo Picasso, die als Künstler und erklärte Kommunisten für die Sehnsucht der Menschen nach einer gerechteren Gesellschaft stehen, darf man nicht mit dem Staatsapparat der DDR gleichsetzen. Was man aber sagen kann, ist, dass am Anfang der Entwicklung der DDR eine Idee stand, die von Picasso und Oscar Niemeyer geteilt wurde, und die man nicht deshalb verteufeln darf, weil sie zum Teil durch Fehlverhalten der handelnden Personen gescheitert ist. Die Garnisonkirche und das Wohnhaus Theodor Storms abzureißen war Teil eines solchen Fehlverhaltens, völlig richtig. Abgesehen davon, dass es so etwas in anderen Gesellschaftssystemen auch gegeben hat, geht es mir bei der Diskussion über das Bad am Brauhausberg darum, dass ein Gebäude als Baukunstwerk auch immer eine gesellschaftliche Idee, eine bestimmte Haltung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen seiner Zeit verkörpert. Es wäre ganz besonders wertvoll gewesen, gerade hier in Potsdam ein edles Architekturbild von Oscar Niemeyers politischer Idee einer gerechteren Gesellschaft zu haben, als Teil des Lebenswerkes des einzigen Architekten in der Geschichte der Baukunst, der allein ein großes Gebäudeensemble geschaffen hat, das zum Weltkulturerbe der Menschheit erhoben worden ist.

Modernen Gebäuden in Potsdam scheint eher die Idee der maximalen Kapitalverwertung zugrunde zu liegen. Da geht es darum, dass so viele Balkons wie möglich in Richtung des Parkes von Sanssouci zeigen.

Ja, man darf aber auch nicht vergessen, dass der prächtige Teil von Potsdam aus einer Zeit stammt, in der es hier sehr privilegierte Menschen gab, in deren Schlösser, Parkanlagen, Villen und Gärten, das heißt, in diese Blüten von Reichtum und Pracht einiger Weniger sehr viel Energie und Arbeit sehr vieler Menschen hinein geflossen sind. Wenn jetzt in solchen Gegenden gebaut wird, ist es sehr schwer, den für diese damalige Zeit charakteristischen Detailreichtum und auch den Grad der handwerklichen Verfeinerung von Einzeldetails zu erreichen und gleichzeitig das zu errichtende Gebäude in der jetzigen Marktsituation kostendeckend betreiben oder vermarkten zu können. Hierin liegt ein großer Widerspruch. Die Herausforderung besteht darin, trotzdem etwas Schönes zu machen.

Das Interview führte Guido Berg

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