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Diskussion zum Geburtstag. Martin Sabrow wird 60 Jahre alt. Der Historiker lebt seit 1996 in Potsdam, seit 2004 leitet er das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) am Neuen Markt. Vor seiner wissenschaftlichen Karriere hat er als Lehrer gearbeitet.

©  Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Das Gestern nach morgen denken

Podiumsdiskussion zum Thema „Geschichte bauen“ zum 60. Geburtstag von ZZF-Chef Martin Sabrow

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Manchmal kann man ihn über den Neuen Markt gehen sehen, mit wehendem Mantel und einem breiten Panamahut. Dann, wenn Martin Sabrow vom Hauptgebäude des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) am Neuen Markt zur Instituts-Bibliothek hinter dem Kutschstall schreitet. Schreiten wohlgemerkt, denn der hoch gewachsene Mann im besten Alter hat einen großen Schritt. Und so wie er mit großen Schritten durch Potsdam geht, durchschreitet er auch die Geschichte, die jüngere Zeitgeschichte, die deutsche vor allem: immer aufmerksam, immer die Bezüge vor Augen.

Am heutigen Dienstag wird der Historiker, der seit 2004 das Potsdamer ZZF leitet, 60 Jahre. Kein Alter für einen so aktiven Geist wie Sabrow. Seine Historiker-Kollegen haben ihm zum Geburtstag eine Veranstaltung gewidmet, die ihm wie auf den Leib geschneidert ist. Im Potsdam Museum am Alten Markt, vis-à-vis dem neu errichteten Stadtschloss, wird er mit Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), Schlösserdirektor Hartmut Dorgerloh und dem renommierten Historiker Karl Schlögel über die „Zukunft der Vergangenheit“ in unseren Städten debattieren. Das ist eines seiner Themen, die Frage, wie die Städte in ihre Geschichte eingebettet sind, wie sie mit ihr umgehen, wie sie sie deuten, aber auch verleugnen.

Zu Sabrow, der vor seiner wissenschaftlichen Karriere als Lehrer gearbeitet hat, gehört der an Fakten orientierte, exakte Blick des Historikers. Als er im vergangenen Jahr zum 80. Jahrestag des „Tags von Potsdam“ sprach, räumte er mit einem Mythos auf. War dieser Tag ein Triumphzug der Nazis, weil sie die alten konservativen Eliten in die Tasche steckten? Nein, sagt Sabrow, so war es doch gar nicht. Hier triumphierten vielmehr noch einmal die Deutschnationalen, weil sie dachten, Hitler in der Hand zu haben. Und hier inszenierte nicht Goebbels einen Propagandastreich, hier verführte nicht ein „Führer“ ein Volk, sondern hier zeigte sich vielmehr die geradezu messianische Führersehnsucht der Deutschen, die sich bereitwillig verführen lassen wollten.

Immer auch die andere Seite zu betrachten, das macht Sabrow aus. So ist es auch bei der Debatte um die historische Wiederaufbauwut in deutschen Innenstädten. Denn wenn hässliche Bausünden aus der Nachkriegszeit korrigiert werden, um das Stadtbild einer vorangegangenen Epoche wiederherzustellen, verschwinden gleichzeitig auch die Relikte einer mittlerweile ebenso historischen Zeit. Und so erinnert Sabrow gerade in einer Stadt wie Potsdam daran, dass auch die Bauten aus DDR-Zeiten einer schützenswerten Vergangenheit entstammen.

Bestes Beispiel: das ehemalige Rechenzentrum mit seinem Mosaikfries „Der Mensch bezwingt den Kosmos“, diesem sozialistischen Aufbruchsepos, unweit des einstigen Standpunktes der Kirche in der Breiten Straße. Das dürfe nicht vergessen werden, wenn hier die Garnisonkirche wiederaufgebaut wird, meint Sabrow. Denn dieses Vorhaben wird für den Historiker, der auch Politikwissenschaftler ist, nur dann realistisch, wenn es die feine Trennlinie zwischen Mythos und Erinnerungsort nicht überschreite. Es gelte ein Zeugnis der Vergangenheit zu restaurieren, nicht aber die Vergangenheit selbst, sagt Sabrow mit der ihm eigenen Gabe, die Dinge rhetorisch zu wenden, wie Spitzenköche ein pochiertes Ei.

Für Sabrow steht außer Frage, dass zu diesem Erinnerungsort, zumindest in Teilen, auch der 1968 errichtete Neubau des DDR-Rechenzentrums zählt. Nur als Flickenteppich unterschiedlicher Vergangenheiten lasse sich der Vielschichtigkeit der städtebaulichen Auseinandersetzung mit dem „Geist von Potsdam“ gerecht werden. Sabrow findet es erstaunlich, dass die Umgestaltung Potsdams ohne deutliche Bezüge auf die DDR-Zeit verlaufe. Das Rechenzentrum hatte er als Domizil für ein „Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR“ vorgeschlagen, das er im Nachwendedeutschland vermisst.

Sabrow stammt aus Kiel. In Potsdam arbeitet er seit 1996 als Historiker. Im Jahr 2004 wurde er Direktor des ZZF und Professor für Zeitgeschichte an der Universität Potsdam, 2009 folgte er denn einem Ruf an die Berliner Humboldt-Uni. Die jüngere deutsche Geschichte , die Zeit des Nationalsozialismus, die DDR-Geschichte, das sind seine Themen. Geschichte ist für ihn immer auch Gegenwart. Gerade ist eine Anthologie von Sabrow erschienen: „Von der Verständigung über die Vergangenheit in der Gegenwart“. Die heutige Diskussion nun ist mit „Geschichte bauen“ überschrieben. Welche Geschichte gebaut, welche abgerissen wird, ist dabei eine der zentralen Fragen. Man darf gespannt sein, wie dabei die Renaissance der alten Potsdamer Mitte reflektiert wird.

Podiumsdiskussion, 8. April, 18 Uhr, Potsdam Museum, Am Alten Markt 9 (Altes Rathaus), Anmeldung unter: veranstaltung@zzf-pdm.de

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