Landeshauptstadt: Das große Krabbeln
Im Naturkundemuseum nagt der Museumskäfer an den Exponaten – weil die Vitrinen völlig veraltet sind. Eine Umrüstung würde 500 000 Euro kosten
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Innenstadt - Die Spur der Verwüstung ist für den geübten Blick fast überall erkennbar: Von einer Hornisse fehlt der Kopf, ein Eichhörnchen hat zwei Centstück-große Löcher im Fell, die sechs Enten in einer Vitrine haben allesamt nur noch Kunststoffersatz anstelle der weggefressenen echten Schwimmhäute an den Füßen, beim Flamingo gegenüber sind auch schon Löcher in den Füßen auszumachen, ein Waschbär hat mittlerweile sogar schon eine handtellergroße Fläche Fell am Bauch einbüßen müssen – der Schaden ist mit etwas Stroh notdürftig kaschiert. „Wir werden das Präparat austauschen müssen“, sagt Detlef Knuth, der Leiter des Naturkundemuseums Potsdam. Dem Museumschef macht ein ungeliebter Besucher in den Ausstellungsräumen in der Breiten Straße zu schaffen: der sogenannte Museumskäfer.
Das Insekt ist nur wenige Millimeter groß – und wenn es entdeckt wird, ist es eigentlich schon zu spät: Denn für das Museum gefährlich sind nur die Larven, der Käfer selbst frisst lediglich Blüten. Die bis zu fünf Millimeter langen haarigen Raupen – die auch Allergien auslösen können – brauchen dagegen eiweißreiche Nahrung, um sich entwickeln zu können. Optimal für die Käferlarven ist organisches Material wie Haare oder Federn – und das ist reichlich vorhanden an den Exponaten. Mit ähnlichem Appetit im Museum unterwegs seien auch Motten, erklärt Knuth.
„Wir können das nur abstellen, wenn wir die Vitrinen dem Stand der Technik anpassen“, sagt der Museumschef. Und spricht damit die Krux an: Das Potsdamer Naturkundemuseum hat keine insektensicheren Vitrinen. Die Umrüstung würde etwa eine halbe Million Euro kosten. Diese Ausgabe aber, sagt Knuth, werde ihm seit Jahren von der Stadt immer wieder gestrichen. Von den insgesamt 60 Vitrinen im Museum seien derzeit nur vier dicht genug, um einen Befall mit dem Museumskäfer oder Motten zu verhindern. Diese Vitrinen nutze man vorwiegend für wertvolle Leihgaben. Bei dem Großteil der übrigen Vitrinen handele es sich um ausrangierte Teile aus den 1950er-Jahren – ein Geschenk von Kollegen aus Bremen. Denn als das Naturkundemuseum 2001 wiedereröffnet wurde, hatte die Stadt kein Geld für eine angemessene Ausstattung, sagt Knuth.
Für den Museumschef und seine Kollegen bedeutet das einen größeren Personalaufwand bei der Schädlingsbekämpfung: Täglich melden die Servicekräfte Schadstellen, mindestens einmal im Monat gibt es eine Kontrolle durch Experten. Befallene Präparate werden mehrere Tage durchgefroren und sind dann „entwest“, also schädlingsfrei, wie Knuth sagt. Geschützt vor neuem Befall sind sie dadurch aber nicht. Schäden müssen, wo noch möglich, ausgebessert oder die Exponate ausgetauscht werden. Was bei Hornissen vergleichsweise einfach ist, stellt die Museumsmacher bei seltenen Tieren auch vor Beschaffungsprobleme.
Neue Präparate werden mittlerweile generell zur Vorbeugung durchgefrostet: „Sie kommen mehrere Tage bei Minus 30 Grad Kälte in den Kühlschrank“, erklärt Knuth. So sollen nicht entdeckte Larven abgetötet werden. Das Ziel dieser Aktionen: Die explosionsartige Vermehrung der Insekten zu unterbinden.
Ein Großeinsatz mit dem Kammerjäger komme für das Museum nicht infrage, erklärt Knuth: Zwar könne man theoretisch das komplette Haus mit Stickstoff schädlingsfrei machen. Aber das sei erstens teuer – Knuth rechnet mit Kosten von 10 000 Euro für jeden der zehn Museumsräume – und helfe zweitens nur vorübergehend, weil die organischen Stoffe in der Ausstellung schnell wieder neue Insekten anlocken würden. Außerdem müsste das Haus für einen solchen Einsatz zwei Wochen lang für den Besucherverkehr geschlossen bleiben.
Neu ist das Käferproblem nicht: Seinen Namen – lateinisch: Athrenus museorum – bekam das Insekt bereits Ende des 18. Jahrhunderts vom schwedischen Biologen Carl von Linné. Auch damals schon sorgte der Käfer für Schäden in naturwissenschaftlichen Sammlungen. Lange Zeit half man sich mit Chemie weiter, berichtet Knuth: Noch bis in die 1950er-Jahre sei das Einstreichen der Exponate mit Arsen gängig gewesen, später nutzte man Insektizide wie DDT oder Lindan, die aber auch für Menschen gefährlich sind.
Zumindest in der Sammlung des Naturkundemuseums – von den insgesamt rund 300 000 Exponaten sind nur etwa 3000 in der Ausstellung zu sehen – habe man das Problem im Griff. So seien etwa die Insektenkästen, in denen präparierte Käfer oder Schmetterlinge aufbewahrt werden, beinahe durchgehend durch dichte Kästen ersetzt worden. Auch seien die klimatischen Bedingungen in den Sammlungsräumen besser als in der Ausstellung. Zur Sicherheit klebt trotzdem in jedem Kasten ein Mottenstreifen, der alle halbe Jahre ausgetauscht werden muss.
Ganz abstellen lässt sich das Käferproblem auch mit neuen Vitrinen nicht, räumt Knuth ein: Freistehende Exponate wären trotzdem gefährdet. Der Kontrollaufwand wäre aber erheblich geringer.
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