Landeshauptstadt: „Das ist wie Diebstahl“
Hala Kindelberger, Ausländerbeauftragte der Stadt, versucht die Potsdamer Migranten zu beruhigen
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Immerhin, der Hassbrief beginnt mit einer korrekten Anrede. Doch nach dem „Sehr geehrte Damen und Herren“ ändert das Schreiben an den Potsdamer Ausländerbeirat seinen Ton: Auf zwei A4-Seiten schreibt sich die Autorin aus der Teltower Vorstadt (Name der Redaktion bekannt) ihren Frust von der Seele. „Alle ab in ein Arbeitslager bei Wasser und Brot“, fordert sie. Und: „Schickt die verfluchte Brut mitsamt den Familien endlich in ihre Heimat zurück.“ Mit freundlichen Grüßen ...
Es sind solche Briefe und Zeilen, die Hala Kindelberger als Ausländerbeauftragte bekommt – nicht regelmäßig, aber eben ab und an. Der aktuelle Brief ist zwei Wochen alt. Alltagsrassismus vor dem Fall Ermyas M. Zurzeit ist kein Alltag. Insgesamt leben 6700 Ausländer in Potsdam. Hala Kindelberger muss nach dem brutalen Angriff vom Ostermontag viele von ihnen betreuen, ihnen die Angst nehmen. Die Angst vor neuer Gewalt. Von einer Gruppe Vietnamesen wurde sie gefragt: „Richten sich die Rechten jetzt hier in Potsdam ein?“ Ladeninhaber und Restaurantbesitzer mit ausländischer Herkunft fürchteten sich vor Übergriffen. „Natürlich hat es hier immer Viertel gegeben, in denen sich Ausländer nicht sicher fühlen konnten“, sagt die Mittdreißigerin. Besonders die südlichen Randbezirke: Waldstadt, Schlaatz, Stern, Drewitz. Doch der Rest der Stadt schien in Ordnung, sagt Kindelberger und klingt verzweifelt: „Das ist wie Diebstahl, das Gefühl der Sicherheit ist weg.“
Dass es in Potsdam für fremd aussehende Menschen schon vor dem Oster-Überfall nicht überall sicher war, belegt für das vergangene Jahr eine Chronologie des Vereins Jugend engagiert in Potsdam e.V. (JEP). So wurde im Januar 2005 einem 29-jährigen Algerier nachts in der der Innenstadt eine Flasche auf dem Kopf zerschlagen, im Februar am Schlaatz ein junger Türke mit einer Flasche am Kopf verletzt. Allerdings enthalten die 29 von JEP aufgelisteten Übergriffe vor allem Gewalttaten gegen linksalternative Jugendliche – mit Schwerpunkt auf dem vergangenen Sommer, quer über das Stadtgebiet verteilt. Auch Straftaten wie die Vergewaltigung einer Vietnamesin im vergangenen Sommer sollen nach PNN-Informationen in Zusammenhang mit fremdenfeindlichen Motiven stehen.
Darüber aufklären, welche Gebiete Ausländer in Potsdam besser in der Nacht meiden oder nur in größeren Gruppen besuchen sollten, will Moctar Kamara. Das Vorstandsmitglied des Afrika-Rats stellt bis Mai mit anderen Mitgliedern des Gremiums eine Liste mit so genannten „No-Go-Areas“ zusammen. Kamara: „Einige Stadtteile von Potsdam werden auf jeden Fall enthalten sein.“
Nach dem Überfall gerät der alltägliche Rassismus in den Blickpunkt. Es gäbe niemanden in ihrer langjährigen Arbeit mit hier lebenden Ausländern, der nicht von Beleidigungen oder Volksverhetzung berichten könne, schreibt die Potsdamer Initiative für Begegnung. Auch einfache Bürger berichten von solchen Vorfällen. Etwa ein Gespräch im Zug über den Überfall, gehört von einer Studentin: „Na, der war doch aber Deutscher“, sagt ein Jugendlicher. Die Antwort: „Wenn der Typ Deutscher wäre, wäre er weiß. Schade, dass sie den nicht totgeschlagen haben.“
Und dennoch, trotz der unberechenbaren Gefahr – es gibt auch Ausländer, die sich nicht einschüchtern lassen. Wie Daryush Ghassemi aus dem Iran. Der 28-Jährige sagt: „Ich habe keine Angst, aber einsame Gegenden meide ich nachts generell.“ Henri Kramer
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