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SERIE: Das Potsdamer Abkommen „abhaken“

Truman-Haus: Ex-Außenminister Genscher erinnert sich an UdSSR-Amtskollege Eduard Schewardnadse

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Babelsberg - Hans-Dietrich Genscher kann es kaum verhehlen – er hätte ihn gestern schon gern wiedergesehen. Noch dazu in Potsdam, wo mit der gleichnamigen Konferenz der Siegermächte die deutsche Teilung begann, die wieder aus der Welt zu schaffen sie beide Jahrzehnte später großen Anteil haben sollten. Aber der Georgier Eduard Schewardnadse, seinerzeit Gorbatschows Außenminister, ließ sich wegen gesundheitlicher Probleme von seinem Sohn Pataa Schewardnadse vertreten. Die Friedrich-Naumann-Stiftung „Für die Freiheit“ hatte anlässlich der 20. Jubiläums des Zwei-plus-Vier-Vertrages, der den Weg frei machte für die deutsche Wiedervereinigung, ins Babelsberger Truman-Haus geladen. Genscher, legendärer deutscher Außenminister von 1974 bis 1992, blieb nun nichts weiter übrig, als seinem einstigen sowjetischen Amtskollegen die besten Grüße auszurichten – und zu erzählen, wie das damals war, als das dicke Eis des Kalten Krieges zu tauen begann.

Sie trafen sich das erste Mal am 1. August 1985 in Helsinki aus Anlass des zehnten Jahrestages der Schlussakte, die die DDR ohnehin arg in Bedrängnis bringen sollte, schließlich waren darin Menschenrechtsstandarts festgelegt, die keine Selbstverständlichkeit waren zwischen Kap Arkona und dem Erzgebirge. Genscher also traf Schewardnadse, „der neue sowjetische Außenminister wollte mit mir sprechen“. Große Erwartungen hatte Genscher nicht: „Durch elf Jahre Gromyko war ich nicht verwöhnt.“ Im Westen trug der russische Außenminister Andrei Gromyko wegen seines sturen Verhandlungsstils den Spitznamen „Genosse Njet“, im Englischen „grim Grom“.

Doch Schewardnadse sagte, dass er nichts sagen, sondern nur zuhören wolle. Die Sowjetunion formuliere ihre Außenpolitik gerade neu. Das, so Genscher, „war ein neuer Stil“. Fast mit Händen sei zu greifen gewesen, dass da in Moskau nun andere Leute an der Macht sind.

Fünf Jahre später saßen sie wieder zusammen, in Windhoek in Namibia. Anlass waren zwei Geburtstage – „meiner“, so Genscher und der des unabhängigen Namibias. Im Garten der Botschaft sagte Eduard Schewardnadse plötzlich: „Wir müssen uns das Potsdamer Abkommen vornehmen und Punkt für Punkt abhaken. Und wenn alles abgehakt ist, ist der Weg frei für die deutsche Einheit.“ Genschers gestriger Kommentar: „Unvergesslich“.

„Meine Frau und ich sprechen oft über ihre Eltern“, sagte der Grand Senior der deutschen Außenpolitik zu Pataa Schewardnadse, Chef des Unesco-Büros in Tiflis. „Uns verbindet viel“, so Genscher, mehr als es normal sei unter Kollegen.

Eine weitere Erinnerung an die Zusammenarbeit zwischen Schewardnadse und Genscher steuerte gestern Wolfgang Gerhard (FDP) bei, Vorstandschef der Naumann-Stiftung. Als sich die DDR-Bürger zu Tausenden in die Prager Botschaft flüchteten, da fragte Schewardnadse Genscher in New York: „Sind da auch Kinder dabei?“ Als der deutsche Außenminister bejahte, sagte sein sowjetischer Amtskollege: „Ich helfe ihnen“ – und hatte somit Anteil am bewegendsten Moment in Genschers politischem Leben, als er auf dem Balkon der Prager Botschaft den seit Wochen ausharrenden DDR-Bürgern zurief: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise “ Das Satzende „möglich geworden ist“ ging im Jubel unter.

Die Ostdeutschen, sagte Genscher gestern den PNN, hatten freilich den größten Anteil am Erfolg der Diplomaten: „Sie haben die Mauer eingestürzt.“ Doch auch sie beide, Schewardnadse und er selbst, haben ihre Arbeit gut gemacht. Die Zwei- plus-Vier-Verhandlungen der vier Siegermächte und der beiden deutschen Staaten hätten auch scheitern können, so Genscher. Bereits ein Jahr später, im August 1991, kam es zum Putsch in Moskau, der die Haltung der Sowjetunion komplett veränderte. Genscher: „Das Fenster der Geschichte hat sich nur kurz geöffnet“.

JAHRE

EINHEIT

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